Versuchter Mord: Lange Haftstrafe für Kassandras Peiniger
Weil sie ihn angeblich "verpetzt" hatte, hat ein 14-Jähriger der kleinen Kassandra den Schädel zertrümmert und sie in einen Schacht geworfen. Die Tat hatte Deutschland im Herbst 2009 erschüttert. Jetzt hat das Landgericht Wuppertal den Jungen wegen versuchten Mordes verurteilt.
28.04.2010
Von Frank Christiansen

Der Anlass war nichtig, die Tat noch brutaler als bislang bekannt: Der 15-jährige Peiniger der kleinen Kassandra ist am Mittwoch zu achteinhalb Jahren Jugendhaft verurteilt worden. Das Landgericht in Wuppertal sprach den verhaltensauffälligen Schüler des versuchten Mordes schuldig. Ein Sprecher des Landgerichts nannte auch erstmals sein Motiv: Der damals 14-Jährige hatte sich an Kassandra rächen wollen und ihr an einem Spieltreff aufgelauert, weil sie ihn "verpetzt" hatte und er deswegen nicht mehr mit ihrem Bruder spielen durfte.

Mit der Faust schlug der Jugendliche die Neunjährige im beschaulichen Velbert-Neviges zu Boden. Dann nahm er einen Betonstein und zertrümmerte dem Kind den Schädel, um es zu töten und dadurch unentdeckt zu bleiben. Das bewusstlose Mädchen schleifte er zum Kanalschacht und stieß es eineinhalb Meter in die Tiefe. Damit nicht genug: Aus der Höhe ließ er vier bis zu 19 Kilogramm schwere Steine auf den Kopf des Kindes fallen, um sicher zu gehen, sein Opfer ermordet zu haben. Er zog den Deckel über den Schacht und tarnte das Versteck mit Ästen. Dann spielte er das Unschuldslamm und bot bei der Suche nach der Grundschülerin seine Hilfe an.

Mit Schädelbrüchen im Schacht

Derweil durchlitt Kassandra sieben Stunden lang ein kaum fassbares Martyrium: Mit Schädelbrüchen lag das lebensgefährlich verletzte Mädchen in der Dunkelheit unter der Erde. Es regnete und das Wasser im Kanal stieg und stieg. Wäre Kassandra mit dem Gesicht nach unten aufgeschlagen, wäre sie ertrunken. Durchnässt, stark unterkühlt und kurz vor dem Tod fand schließlich ein Spürhund der Polizei die Kleine.

Tagelang schwebte Kassandra in Lebensgefahr. Drei Wochen später erschütterte die Festnahme des Täters nochmals die Republik: Er war erst 14 Jahre alt.

Wegen der außergewöhnlichen Brutalität des voll schuldfähigen Jungen ging das Gericht über das vom Staatsanwalt geforderte Strafmaß von sieben Jahren und zehn Monaten hinaus. Mit achteinhalb Jahren blieb die Kammer nur wenig unter der Höchststrafe von zehn Jahren. Verteidigerin Astrid Denecke hatte fünf Jahre gefordert und erwägt nun, gegen das aus ihrer Sicht "sehr harte Urteil" in Revision zu gehen. Ihr Mandant habe den Schuldspruch "relativ gefasst" aufgenommen. Er sei völlig regungslos gewesen, sagte ein anderer Prozessteilnehmer.

Junge war als aggressiv bekannt

Kassandras Eltern, die der halbstündigen Urteilsbegründung im Schwurgerichtssaal beiwohnten, seien mit dem Urteil zufrieden und könnten nun hoffentlich etwas Ruhe finden, sagte Nebenklage-Vertreter Holger Boden. Kassandra sei nach wie vor schwer traumatisiert und die Verletzungen noch nicht verheilt.

Die Öffentlichkeit war von dem Prozess vollständig ausgeschlossen. Wegen des umfassenden Geständnisses des als aggressiv bekannten Jungen konnte der Prozess nach nur drei Wochen und sieben Verhandlungstagen abgeschlossen werden. Kassandra blieb die Aussage vor Gericht erspart. Ursprünglich waren bis Ende Juni 17 Verhandlungstage vorgesehen.

Zur Persönlichkeit des Gewalttäters wollten die Prozessparteien wegen dessen Alter nichts verraten. Dass er voll schuldfähig ist, also bei klarem Verstand und mit vollem Kalkül handelte, lässt einige Schlüsse zu. Der Schüler hat eine Vorgeschichte. Schon früher tyrannisierte er Kinder: Deswegen hatte er Hausverbot in dem Hort. Hat sich in der Tat eine sadistische Persönlichkeit gezeigt? "Das Fragezeichen hinter dem "Warum" wird wohl noch lange stehenbleiben", sagte der Nebenkläger.

Kassandra konnte erst zwei Monate nach der Tat das Krankenhaus verlassen. Seitdem ist sie in psychologischer Behandlung.

dpa