Gift auf den Sojafeldern von San Jorge
Argentiniens Landwirtschaft spezialisiert sich auf den Soja-Anbau. Die Bohnen sind Exportschlager, doch die Nebenwirkungen der Pestizide sind für Menschen und Umwelt verheerend.
28.04.2010
Von Jürgen Vogt

Die Peraltas wohnen dort, wo die Asphaltstraße in einen Lehmweg übergeht. Das Viertel Urquiza am Rand der argentinischen Kleinstadt San Jorge ist in die Schlagzeilen geraten, weil die Familie sich nicht damit abfinden wollten, was auf den Feldern auf der anderen Straßenseite geschah. Es ist ein bescheidenes Viertel, die Häuser stehen einzeln, Esel grasen dazwischen, die Kanalisation funktioniert, aber auf den Wasseranschluss warten die Bewohner noch.

Nesthäkchen Ailén feiert bald den dritten Geburtstag. Wenn der kleine Blondschopf heute tief Luft holt und mit vollen Backen wieder ausprustet, strahlt Mutter Viviana Peralta übers ganze Gesicht. "Nur noch einmal pro Tag muss Ailén das Medikament nehmen, weil drüben nicht mehr gesprüht wird."

Verzweiflung, Wut und Todesangst

Drüben ist auf der anderen Seite der Straße. Hier beginnen die Felder, auf denen jahrelang Soja gepflanzt wurde. Zwei Erntezyklen im Jahr. Für jede Aussaat kamen die Sprühfahrzeuge mindestens dreimal: Mit Ungeziefer- und Pilzvernichter - und Glyphosat, dem Pflanzenvernichter, dem nur die genmanipulierte Soja standhält. Nicht selten wurde aus der Luft gesprüht.

Einmal war Viviana Peralta auf das Feld gerannt, hatte Erdbrocken geworfen und versucht, das riesige Sprühfahrzeug aufzuhalten. Sie tat es aus Verzweiflung, Wut und Todesangst um ihre kleine Tochter. Die Nachbarin holte sie zurück. Als Ailén sechs Monate alt war, mussten sie mit ihr Hals über Kopf ins Krankenhaus in die Provinzhauptstadt.

"Sie wäre uns fast erstickt." Dem Mädchen drohte ein Luftröhrenschnitt. Drei Tage hing die Kleine an der Sauerstoffflasche, dann ging es ihr besser. Als der Sojaproduzent wieder sprühen wollte, erwirkten die Peraltas eine einstweilige Verfügung.

Glyphosat vernichtet nicht nur Pflanzen

Im März 2009 bekamen sie erstmals Recht. Den Grundbesitzern wurde untersagt in einem Radius von 800 Metern um das Viertel Urquiza Glyphosat und andere Chemikalien einzusetzen. Für das Sprühen aus der Luft wurde eine Bannmeile von 1.500 Metern festgelegt. Der Widerspruch folgte prompt. Die betroffenen Bewohner hätten für die behaupteten Gesundheitsschäden keinerlei wissenschaftlich fundierten Beweise vorgelegt, hieß es vonseiten der Sojaproduzenten.

Doch das Berufungsgericht der Provinz Santa Fe hat den Einspruch nicht nur abgewiesen sondern auch festgelegt, wer die Beweislast trägt. Es sei gerade die Unsicherheit über die Folgen des Herbizideinsatzes, die den Gebrauch in unmittelbarer Nähe von Häusern nicht zulasse. Die Behörden wurden angewiesen, bis Ende September die Unbedenklichkeit von Glyphosat nachzuweisen.

In ihrem Labor untersucht Susana Manzano das Blut von Menschen mit Gesundheitsproblemen. "Statistisch gesehen sterben wir in San Jorge alle an Atemstillstand", sagt die Biochemikerin. Außerdem nähmen seit 2000 die Krebserkrankungen ebenso zu wie Unfruchtbarkeit bei jungen Männern. "Über die Ursachen sagen die Statistiken nichts", sagt Manzano. "Es sind alles nur Beobachtungen, wissenschaftliche Beweise gibt es keine." 2000 begann der Soja-Boom. "Es muss einen Zusammenhang geben", schlussfolgert Manzano.

Bürger erster und zweiter Klasse

Argentinien ist zum weltweit drittgrößten Sojabohnenproduzenten und -exporteur aufgestiegen. Angepflanzt wird fast ausschließlich genverändertes Saatgut. Für 2010 erwarten die Produzenten eine neue Rekordernte von 53 Millionen Tonnen auf 19 Millionen Hektar Anbaufläche. Mindestens zehn Liter Glyphosat werden pro Anbauzyklus auf jeden Hektar versprüht, dazu kommt die chemische Ungeziefer- und Pilzbekämpfung.

"Siembra directa", Direktaussaat, heißt die Zauberformel für den Boom. Ohne die Ackerfläche umzubrechen, wird das Saatgut unmittelbar in den Boden eingepflanzt. Das spart Wasser und vor allem Arbeitskräfte. Doch die Anbaufläche muss bis zu dreimal von jeglichem Kraut "gereinigt" werden. Dafür sorgt das Glyphosat. Während das Herbizid alles vernichtet, ist das genetisch veränderte Soja-Saatgut resistent.

"Jetzt haben wir in San Jorge Bürger erster und zweiter Klasse," sagt Viviana Peralta. Die Schutzzone gilt nur für die 300 Bewohner in Urquiza. Der Rest der Bewohner der 25.000-Einwohner-Stadt San Jorge ist nach wie vor dem Gift ausgesetzt. In Urquiza schwirren die Libellen durch die Luft, die Grillen zirpen, die Frösche sind wieder da. "Seit nicht mehr gesprüht wird, ist das Leben zurückgekehrt."

epd