Irgendwann war es dem Mann mit dem weißen Hemd und dem grauen Pullover zu viel. Er hatte sich anhören müssen, dass Jugendliche mit Pornos im Internet und auf dem Handy eigentlich ganz gut umgehen können, junge Menschen einfach andere Einstellungen haben als Erwachsene und Tabubrüche für eine Gesellschaft heilsam seien, weil sie Grenzen versetzten und damit für Dynamik, ja vielleicht sogar für eine Befreiung von überkommenen Moralvorstellungen sorgten.
Unruhig war der Mann währenddessen auf seinem Stuhl hin und her gerutscht und hatte die Stirn gerunzelt. Er hatte Jugendliche im Kopf, die Gruppensexvideos auf dem Schulhof tauschen, Kinder, die im Internet Vergewaltigungsvideos sehen. Und er hatte Musik im Ohr, in denen Rapper Frauen – bestenfalls - als "Hure" bezeichnen. Jetzt nutzte er die Chance, griff zum Mikrofon, stellte sich als Sozialpädagoge vor und brach eine Lanze für den Jugendmedienschutz: "Es geht darum, die Gefährdeten zu schützen. Wir müssen Jugendliche vor Inhalten bewahren, mit denen sie nicht fertig werden. Auch, wenn die Mehrheit der Jugendlichen von diesen Inhalten nicht betroffen sein sollte."
Diskussionen und Vorträge
Das Statement hätte auch am Ende der Tagung "Tabubruch, Medienexhibitionismus und Jugendkultur – Herausforderungen für den Jugendmedienschutz" stehen können. Zwei Tage lang diskutierten Jugendmedienschützer und Medienmacher in Hamburg über das Thema Jugendschutz und Medien. Und wenn es so etwas wie ein Ergebnis gab nach vielen Diskussionen und Vorträgen zu den verschiedensten Aspekten dieses Themas, dann vielleicht, dass es vor allem Jugendliche aus bildungsfernen Schichten sind, die nicht zu einem reflektierten Umgang mit Medieninhalten in der Lage sind. Sie sind es, die deshalb Gefahr laufen, zu "verrohen", wie es ein Tagungsteilnehmer ausdrückte. Und noch ein Ergebnis gab es: Eine gewissen Diskrepanz zwischen den Ergebnissen der Forschung über Jugendliche und den Erfahrungen von Sozialpädagogen, die mit Jugendlichen arbeiten.
Was die drohende Verrohung angeht, war eine aktuelle Studie der ZDF-Medienforschung aufschlussreich, die auf der Tagung vorgestellt wurde. Demnach kennen rund 18 Prozent von 800 Befragten Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren Internetseiten mit Gewaltverherrlichung. 36 Prozent der Jungen und zehn Prozent der Mädchen von 16 bis 20 Jahren haben Pornos im Internet gesehen und sogar 13 Prozent der Jungen hatten schon Kontakt mit Kinderpornografie. Von einem 15-Jährigen, der ihm ein selbstgedrehtes Video mit Gruppensex auf dem Schulhof vorgespielt habe, berichtete der Journalist Wolfgang Büscher, Sprecher des Vereins "Arche". "In meiner Arbeit treffe ich auf Mütter, die Sex mit den Freunden ihrer 14-jährigen Töchter haben."
Falsches Bild
Ist die "Generation Porno" mit massenhaftem Pornokonsum und sexuellen Erfahrungen schon in sehr jungen dennoch ein Mythos? "Eigentlich ist nichts so langweilig wie das Sexualleben der Jugend", sagte Dagmar Hoffmann von der Universität Siegen. Im Schnitt hätten Jugendliche mit 15,8 Jahren ihre ersten sexuellen Erfahrungen. Ein Wert, der im Grunde seit Jahren konstant sei. Und auch Studien, nach denen zwei Drittel der Jugendlichen angeben, sie hätten bereits Pornos geschaut, sieht sie kritisch. "Es ist einfach uncool zuzugeben, dass man noch keine Pornos gesehen hat." Das Bild, das Medien von Jugendlichen vermittelten, decke sich nicht mir der Realität, kritisierte sie. Zugleich nahm sie das Medium Fernsehen in Schutz. Sexualität nehme im Programm entgegen der landläufigen Meinung nur einen sehr geringen Raum ein. Am meisten nackte Haut finde man im Fernsehprogramm eigentlich in der Werbung. "Getreu dem Motto: Sex sells", erläuterte Hoffmann.
"Es gibt keine Belege für eine massenhafte Abstumpfung oder Gewalt im sexuellen Bereich, die bei Jugendlichen durch Pornos hervorgerufen wird", sagte auch Konrad Weller, Psychologe von der Universität Merseburg. Pornos seien Teil einer normalen sexuellen Entwicklung von Jugendlichen und gehörten quasi zum Erwachsenwerden dazu.
Falsche Rollenbilder
"Die Wirkung ist schwer zu erforschen, weil sie Jugendlichen keine Pornos vorspielen dürfen", erläuterte Petra Grimm (Universität Stuttgart) gewisse Lücken in der Forschung. Sie diagnostiziert bei Jugendlichen im Umgang mit Pornos aber ein "biologistisches Modell". Demnach begründeten Jungen ihren Pornokonsum mit vorhandenen Trieben, während Mädchen diese Triebe abgesprochen würden und Pornokonsum bei Mädchen und von diesen selbst daher kritischer gesehen werde.
Unproblematisch findet Grimm den Konsum der Pornos aber nicht und sprach von einem Wirkungspotenzial. So könne das eigene Körperbild Schaden nehmen und zudem würden falsche Rollenbilder vermittelt. Sie forderte daher eine medienpädagogische Initiative. "Die Aufklärung findet bislang kaum statt, Lehrern fehlen Handreichungen, wie sie mit dem Thema Porno umgehen sollen."
Mehr Geld!
"Mehr Geld für Medienpädagogen" lautete am Ende der Tagung dann auch eine Forderung aus dem Publikum. Um Jugendliche zu schützen, sei Bildung der Schlüssel. Jugendliche von gefährlichen Inhalten fernzuhalten sei kaum noch möglich. Ziel müsse es aber sein, sie in die Lage zu versetzen, Inhalte einzuordnen. Da nickte auch der Mann mit dem grauen Pullover.
Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Kultur und Medien.