"Jetzt bist du erwachsen": Das Ritual der Einführung
Die Bekräftigung des Glaubens bei der Konfirmation dient auch der Einführung in die Gemeinschaft der Erwachsenen. Damit ähnelt das christliche Ritual den Bräuchen von Naturvölkern - und unterscheidet sich doch wesentlich davon, wie der Kulturwissenschaftler Felix Ringel schreibt.
26.04.2010
Von Felix Ringel

Die evangelische Konfirmation, die katholische Firmung, die jüdische Bar Mitzwa und die hinduistische Upanayana-Zeremonie haben eines gemeinsam: Sie beenden offiziell das Kindesalter mit einer Bekräftigung des Glaubens. Aber wie erweist sich ein junger Mensch als stark und standhaft?

Als Antwort auf diese Frage kennen alle Völker Rituale für Jugendliche. Bei den Ndembu in Nordwest-Sambia etwa war man Mitte des 20. Jahrhunderts ein vollwertiger Ndembu-Mann, wenn man gut jagen konnte. Das wurde in den dazu gehörenden Initiationsritualen betont. Bei den Frauen stand weniger Produktion als Reproduktion im Mittelpunkt. Dementsprechend mussten die Mädchen sich nicht aus dem Dorf ins potenziell gefährliche Jagdgebiet hinausbewegen, sondern blieben während der rituellen Handlungen abgeschottet im Dorfinneren.

Nebenan, bei den Bemba, wurde zwei Jahrzehnte früher den jungen Vertretern des weiblichen Geschlecht trotz Dorfnähe besonders viel abverlangt. Die Anthropologin, die sie damals wissenschaftlich untersuchte, war voller Mitleid, als sie den nach tagelang anhaltenden Tänzen, Gesängen und mit allerlei Symbolik aufgeladenen Handlungen völlig erschöpften Initiantinnen zur neuen Stellung im sozialen Gefüge gratulierte.

Fremd wirkt, was unbekannt ist

Das Element der Erschöpfung oder gar der Demütigung kann ganz gewollt Teil des rituellen Ablaufs sein. Schließlich befinden sich die Teilnehmer, auf denen die Blicke der Gemeinschaft ruhen, gerade während des Rituals in einer unbestimmten Phase – genau zwischen dem sozialen Status, den sie verlassen, und dem, der bei erfolgreicher und oft magischer Umwandlung der eigenen Person erreicht wird. Aber genau diese Unsicherheit, so wird vermutet, erfüllt eine wichtige Funktion nach dem Motto: Sollen die Frischlinge doch sehen, wie es ohne die Gemeinschaft wäre. Umso lieber lassen sie sich wieder darin eingliedern.

So exotisch diese südwestafrikanischen Stammesrituale auf uns wirken mögen, so sehr ähneln sie doch dem, was wir in unserer vermeintlich durchrationalisierten modernen Gesellschaft an Rituellem alles anstellen – nicht nur im Bezug auf Übergangsrituale. Man denke nur an all die lustigen und traurigen, festlichen und unsinnigen Feierlichkeiten, die wir das Jahr hindurch begehen. Was würde denn eine junge Bemba-Dame aus den 1930er-Jahren zur alkoholgeschwängerten Kirmes, zur klirrend bunten Weihnachtsbeleuchtung oder eben zur protestantischen Konfirmation im Deutschland des Jahres 2010 sagen?

Erstaunliche Parallelen

Rein formal folgen Initiationsrituale dem gleichen Schema. Erst einmal werden die entsprechenden Personen von der restlichen Gemeinschaft physisch oder über entsprechende Symbole entfernt. In dieser Phase der Separation werden die Probanden speziell vorbereitet, also mit dem nötigen Wissen um die Geheimnisse der schon Initiierten ausgestattet. Schließlich sollen sie gleichwertig dazugehören. Bei der Konfirmation hat man zu diesem Zweck Konfirmandenunterricht. Schon Monate vor dem eigentlichen Ritual wird zielgerichtet darauf hingearbeitet.

Noch einmal separiert werden die jungen Menschen bei der eigentlichen Feier. Wie die Ndembu-Jungen im Busch sitzen auch die protestantischen Zöglinge abgesondert – wenn auch in der ersten Reihe der örtlichen Kirche, allerdings ebenso hübsch gemacht. Hier wie da werden zur Freude kritischer Beobachter sogleich soziale Unterschiede bemerkt: Wer trägt die längeren Federn, den schöneren Körperschmuck, die schaurigere Maske - oder das hübschere Kleid?

Drei Phasen

Noch spannender wird es in der Phase, welche die Ethnologen Liminalität nennen, also die Übergangszeit zwischen zwei Gruppenzugehörigkeiten. Was kann da nicht alles schief gehen: Der Schamane fällt plötzlich in Ohnmacht, die olympische Flamme wird nicht entfacht, die Pastorin sinniert über den falschen Konfirmantionspruch.

Doch wie beim kleinen Hänger oder Stolperer wird im Bedarfsfall oft gekonnt improvisiert. Bei verschwitzten Händen, hochrotem Kopf und wild schlagendem Herzen der Angehörigen oder des Schützlings selbst – wichtig ist, dass vor versammelter Mannschaft wieder re-integriert wird, das Ritual also in einer dritten und letzten Phase vollendet wird.

Alle pflegen ihre eigenen Traditionen

Trotz formaler Ähnlichkeit unterscheiden sich die Inhalte allerdings stark, nicht nur im Vergleich der christlichen Konfirmation mit dem Bemba-Chisungu-Ritual. Auch jede Kirchengemeinde bei uns gestaltet ihre Konfirmation anders. Selbst in Deutschland findet man verschiedene Wertsetzungen und Unter-Traditionen. Zudem hat sich die Konfirmation im Lauf der Zeit stetig gewandelt.

Während man früher als vollwertiges christliches Gemeindemitglied meist auch wirtschaftlich, politisch, juristisch und sozial erwachsen war, kommt heute in säkularen Gesellschaften mit der religiösen Mündigkeit vor allem eine neue Verantwortung, neue Rechte und Pflichten Gott gegenüber ins Spiel. Diesem Mündigwerden wohnt die Glaubensgemeinschaft als Zeuge bei: der individuellen, öffentlich demonstrierten Vergewisserung gegenüber Gott. Das hat bei uns zwar nach wie vor gesellschaftliche Folgen, heutzutage jedoch in erster Linie Teil der Welt des Glaubens.

Was bleibt?

Wie zeigt man sich also heutzutage als gute Christin, als guter Christ? Inhaltlich mag das jeder anders auslegen. Da man als Protestant individuell an Gott gebunden ist, wird die Gemeinschaft sich zwar darüber austauschen und gegenseitig vergewissern. Die persönliche Bestätigung seiner Beziehung zu Gott hält jedoch ein Leben lang an – umso wichtiger die Konfirmation, die rituelle Bestätigung dieses Bestrebens. Auch der junge Ndembu-Mann musste sich erst mal als guter Jäger beweisen.


Felix Ringel ist Doktorand der Sozialanthropologie an der University of Cambridge.