Buch voll Wut: Schriftstellerin Roy prangert Politik an
Mit ihrem Roman "Der Gott der kleinen Dinge" wurde sie weltberühmt, seitdem schreibt die indische Autorin Arundhati Roy vor allem politische Essays. Eine Sammlung von Artikeln über den Zustand der Demokratie in ihrem Heimatland ist jetzt als Buch auf Deutsch erschienen. Die Sprachmacht von Roy ist auch in diesem politischen Texten lebendig.
26.04.2010
Von Jürgen Hein

Ein ganzes Buch voll Wut. Arundhati Roy ist wütend, wenn man sie für dumm verkaufen will. Sie ist wütend, weil Politiker ihrer Überzeugung nach das Volk belügen - und damit davonkommen. Wütend auch, wenn Mächtige den Armen auch das letzte nehmen, ohne dass sie dafür jemand zur Rechenschaft zieht. Und Arundhati Roy ist wütend - an manchen Stellen ihres Buches "Aus der Werkstatt der Demokratie" bricht sogar Verzweiflung durch - weil auch ihr, dieser intelligenten und scharfsinnigen Frau, kein Ausweg einfällt.

Weltberühmt wurde die indische Autorin 1997 mit ihrem Roman "Der Gott der kleinen Dinge". Seitdem nutzt sie ihre Bekanntheit, um Missstände anzuprangern, Tabus zu brechen und messerscharfe Fragen zu stellen. Sie tut das in Magazinen, Interviews und Vorträgen, und das Buch versammelt ein knappes Dutzend solcher Beiträge.

Kritik an Kaschmirpolitik

Arundhati Roy verhöhnt darin nicht nur den früheren US-Präsidenten George W. Bush, sie geht nicht nur mit der indischen Regierung wegen deren Kaschmirpolitik hart ins Gericht, sondern sie stellt auch die Systemfrage: Wofür taugt die Demokratie eigentlich noch?

Die Frage ziele nicht darauf ab, auf verrufene totalitäre oder autoritäre Modelle zurückzugreifen, versichert Roy. Die eigentliche Frage laute, was wir der Demokratie angetan haben: "Was passiert jetzt, da die Demokratie und die freie Marktwirtschaft zu einem einzigen Raubtier verschmolzen sind, dessen dürftige beschränkte Phantasie nahezu ausschließlich um die Frage der Profitmaximierung kreist? Ist es möglich, diesen Prozess rückgängig zu machen? Kann etwas, was mutiert ist, wieder werden, was es einmal war?"

Unbequem und provozierend

Das Buch wirkt allerdings ein wenig zusammengewürfelt. Beiträge, die über einen Zeitraum von sieben Jahren als Reaktion auf aktuelle Ereignisse entstanden, werden nicht zu einem Werk aus einem Guss. Außerdem gehen die Essays auf Details ein, die den wenigsten deutschen Lesern geläufig sein dürften.

Ein Beispiel ist der rätselhafte Terrorüberfall auf das indische Parlament im Dezember 2001. Er heizte damals die Feindschaft zwischen Indien und Pakistan einmal mehr an, so sehr, dass es international die Sorge gab, der Konflikt könne bis zum Atomkrieg eskalieren. Natürlich ist es in diesem Zusammenhang hochinteressant, wer denn wohl die Hintermänner des Anschlags waren, wer da wen aufhetzen wollte, wie die Regierung, die Polizei und die Medien in Indien mit der Aufklärung des Falls umgingen. Aber die Fülle der Einzelheiten, die Roy hier präsentiert, sind doch eher etwas für ein Fachpublikum.

Die Sprachmacht, die Arundhati Roy in ihrem Roman zeigte, spielt sie auch in diesen politischen Texten aus. Äußerlich mag sie sanft wirken, ihre Stimme zurückhaltend klingen. Aber in ihren Analysen geht es ihr nicht um Harmonie, um ein gutes Ende. Sie seziert unerschrocken und gnadenlos, bisweilen in einem schwer erträglichen Stakkato der Gedanken. Sie ist unbequem und provozierend im besten Sinn. Ohne ihre Essays wäre der politische Diskurs in Indien ärmer. Dass ihre Aufsätze "oft die einzige verlässliche Informationsquelle" seien, wie der Klappentext behauptet, ist allerdings übertrieben.

dpa