Balian Buschbaum: "Das Thema Glück kann ich abhaken"
Der Stabhochspringer Balian Buschbaum wurde im Körper einer Frau geboren, hat sich aber nie als Frau gefühlt. Als Yvonne Buschbaum war er deutsche Meisterin im Stabhochsprung. Aber: "Es ist wie in der Architektur. Manchmal kommt ein falscher Bauplan zustande", erklärt er die Transsexualität. Im Interview mit evangelisch.de spricht er über seine geschlechtsangleichende Operation und die moralischen Zweifel vorher, die Auswirkungen von Testosteron und das Glücksgefühl, endlich komplett zu sein.
26.04.2010
Die Fragen stellte Maike Freund

evangelisch.de: Wie glücklich bist du heute, nachdem du auch körperlich so als Mann leben kannst, wie du es dir immer gewünscht hast?

Balian Buschbaum: Das Thema Glück kann ich auf meiner Liste abhaken. Ich weiß, egal was jetzt kommt, nichts kann mich mehr umhauen. Ich hatte immer dieses innere Bedürfnis, mich in meinem Körper wohl zu fühlen, am Strand zu sitzen, mich ausziehen zu können. Ich konnte meinen inneren Kreis nun schließen, und dieses Gefühl des inneren Gleichgewichtes genieße ich nun mit allen Facetten.

evangelisch.de: Mit Balian oder Herr Buschbaum angesprochen zu werden, ist das noch etwas Besonderes?

Buschbaum: Nein, das ist Alltag. Eigentlich schon langweilig. Und wenn ich jetzt vor dem Spiegel stehe und mich rasieren muss, dann denke ich: Ach nee, nicht schon wieder. Jetzt könnte es doch mal einen Bartwuchsstopp geben.

evangelisch.de: Aber das war ja nicht immer so…

Buschbaum: Nein. Es gab Zeiten, da habe ich zum Beispiel extra tiefer gesprochen, wenn ich zum Bäcker gegangen bin, damit ich männlich klang.

evangelisch.de: Wann hast du das erst Mal gemerkt, dass dein Körper nicht der ist, den du gerne hättest?

Buschbaum: Gemerkt, dass ich auf Frauen stehe, dass ich als Junge beziehungsweise als Mann wahrgenommen werden möchte, das wusste ich von Anfang an: Mit drei Jahren verliebte ich mich in unser Kindermädchen, dann in die Kindergärtnerin, dann in meine Lehrerin. Sozusagen ein klassischer Werdegang für einen Jungen. Als es dann losging mit der Pubertät, habe ich gemerkt: Ich hab ein Problem.

"Ich habe den Menschen keinen Anlass gegeben, mich zu diskriminieren"

 

evangelisch.de: Und dann? Was hast du dann gemacht?

Buschbaum: Ich habe mich zurückgezogen. Und versucht, mich abzulenken. Mit dem Sport unabhängig von meiner Geschlechterrolle. Erst viel später kam die Reflektion.

evangelisch.de: Wann hast du den Begriff Transsexualität das erste Mal gehört?

Buschbaum: Mit 18 habe ich das erste Mal eine Reportage über Transsexualität gesehen, es war ein negativer Bericht mit der Message: Lasst die Finger davon. Aber ich habe auch nicht weiter darüber nachgedacht, weil ich finanziell unabhängig sein wollte. Meine Eltern sind gerade nach Amerika ausgewandert, ich musste Geld verdienen und das hat mit dem Sport auch super funktioniert. Einen Ausfall hätte ich mir aber nicht erlauben können.

evangelisch.de: Was ist denn der Unterschied zwischen Transsexualität und Intersexualität?

Buschbaum: Bei Menschen, die körperlich mit zwei Geschlechtern geboren werden, spricht man von Intersexualität. Transsexuelle Menschen kommen mit eindeutigen äußerlichen sekundären Geschlechtsmerkmalen zur Welt, ordnen sich aber dem anderen Geschlecht zu, weil im Gehirn die Sexualität angelegt wird. Es ist wie in der Architektur. Manchmal kommt ein falscher Bauplan zustande. So ging es mir mit meinen Geschlechtsmerkmalen. Irgendeiner hat gepfuscht. Ein bekannter Psychologe, Harry Benjamin, brachte es auf den Punkt: "Die Naturgesetze kennen jedoch kein Tabu, und Tatsachen bleiben Tatsachen. Intersexualität besteht im Körper als auch im Geiste."

evangelisch.de: Bist du diskriminiert worden?

Buschbaum: Nein. Ich glaube, das lag auch daran, dass ich immer so aufgetreten bin wie ich war. Es gab keinen Unterschied zwischen dem wie ich war und wie ich mich gegeben habe. Ich habe den Menschen keinen Anlass gegeben, mich zu diskriminieren. Sie haben mich so angenommen, wie ich war.

"Ich habe mir die Frage gestellt, ob ich Gott spiele"

 

evangelisch.de: Bist du gläubig?

Buschbaum: Ja, ich bastelte mir meine eigene Religion und Glauben zusammen. Ein bisschen vom Christentum, ein bisschen Buddhismus, ein bisschen von den Indianern.

evangelisch.de: 2007 hast du entschieden, dich operieren zu lassen. War das jemals eine moralische Frage?

Buschbaum: Ich habe mir die Frage gestellt, ob ich Gott spiele. Was erlaubst du dir da? Für wie wichtig hältst du dich, dass du deinen Körper verändern darfst? Ich bin zu dem Schluss gekommen: Jemand hat mir die Aufgabe gegeben, mich ganz zu machen. Ich war aber auch bereit zu sterben.

evangelisch.de: Bevor du das erste Mal Testosteron gespritzt bekommen hast, gab es da für dich noch ein Zögern. Vielleicht auch wegen des Sports?

Buschbaum: Eigentlich nicht, weil ich wusste, dass das der Stoff ist, der mir jahrelang gefehlt hat. Mir war aber auch klar, dass ich davor meine sportliche Karriere beenden werde, weil Testosteron Doping bedeutet und ich von meinen inneren Werten her niemals gedopt hätte. Nach der ersten Injektion bin ich aufgeblüht, ich habe gemerkt, dass mir dieser Zündstoff gefehlt hat.

evangelisch.de: Wie hast du dich dann verändert?

Buschbaum: Körperlich: Ich habe mehr Muskulatur bekommen, den Bartwuchs, eine tiefe Stimme. Es hat sich viel verändert, aber die größte Veränderung war psychisch. Diese Brandbreite an Gefühlen, die ich früher hatte, habe ich jetzt nicht mehr. Als Mann ist vieles nun einfacher: Ich gibt ein Ja und ein ganz klares Nein, ich wäge nicht mehr so viel ab. Ich denk nicht mehr so viel über alles nach, ich zweifele nicht mehr so viel.

evangelisch.de: Also gibt es tatsächlich spezifisch Mann und Frau?

Buschbaum: Ja, auch wenn ich mich dagegen wehre, weil ich Menschen nicht in Schubladen stecken will. Aber leider ist es so, dass es sich nicht immer um Klischees handelt, sondern um die Wahrheit.

evangelisch.de: Siehst du Sportlerinnen, jetzt wo du weißt, wie sich Testosteron auswirkt, mit anderen Augen?

Buschbaum: Ja, schon. Manchmal denke ich: Die tiefe Stimme, der Stiernacken: Mädchen, das kann nicht alles mit rechten Dingen zugehen.

"Die schlimmsten sechs Tage meines Lebens"

 

evangelisch.de: Erzähl doch mal ein bisschen von der Operation...

Buschbaum: Die war toll, ich hab nichts mitbekommen!

evangelisch.de: Aber danach war es ja nicht so entspannt?

Buschbaum: Es waren die schlimmsten sechs Tage meines Leben. Ich musste sechs Tage still im Bett liegen, ohne Drehung, ohne Bewegung. Ich hatte zu viel Blut verloren, also bekam ich eine Bluttransfusion. Mein Bewusstsein ist immer wieder gegangen, immer wieder gekommen. Ich hatte Schmerzen. Es war keine schöne Zeit. Doch wusste ich, dass ich sie überstehen muss, um mein Leben zu leben.

evangelisch.de: Und das Gefühl, deinen Penis das erste Mal zusehen?

Buschbaum: Super! Ich bin aufgewacht und alles war unter einem riesigen Mullberg versteckt. Als der Mullberg das erste Mal entfernt wurde, dachte ich erst, ich schlafe gleich wieder ein, weil es so lange gedauert hat. Aber als ich den Penis gesehen habe, war es ein ganz intimes, persönliches Erlebnis und ich habe gedacht: Ja, schön, endlich ist er dran, der alte Gauner!

evangelisch.de: Was wurde bei der Operation gemacht?

Buschbaum: Um diese Frage zu beantworten, sollte man mit dem Doktor sprechen. Solche eine OP ist nahezu aufwendiger und komplexer als eine Herztransplantation. Der Penis wird aus einem Hautlappen des Unterarms, samt Unterhautfettgewebe in einer speziellen Technik geformt. Die Operation hat neun Stunden gedauert.

evangelisch.de: Kannst du einen Orgasmus haben?

Buschbaum: Was für eine Frage. Natürlich! Was wäre Sex ohne Orgasmus? In den Penis wurde eine Penispumpe eingebaut, erfunden für Männer, die unter erektiler Dysfunktion leiden. Alles funktioniert prima. Trotzdem sollte die Gesellschaft bedenken, dass das Thema Liebe und Sex sich nicht nur ausschließlich um den Penis dreht. Diesen braucht Mann nämlich nicht, um eine Frau zu lieben.

"Negative Reaktionen waren nicht dabei"

 

evangelisch.de: Wie waren denn die Reaktionen?

Buschbaum: Ich habe Reaktionen aus allen Schichten und in allen Varianten bekommen. Es haben mir Senioren geschrieben, die meinen Satz toll fanden: Es ist normal, anders zu sein und, dass das Thema Transsexualität endlich auf den Tisch kommt. Engstirnigkeit ist also kein Generationsproblem. Ich habe Liebesbriefe, Heiratsanträge und Post von Betroffenen bekommen. Negative Reaktionen waren nicht dabei.

evangelisch.de: Wann hast du dich das erste Mal als Mann komplett gefühlt?

Buschbaum: Eines meiner Schlüsselerlebnisse war, als ich – komplett nackt –auf meiner Dachterrasse in der Sonne lag. Ich habe aufgeblickt und in der Fensterscheibe eine Spiegelung gesehen. Ich dachte: Wow, wer liegt denn da? Sekunden später habe ich erst gemerkt: Das bin ich. Und das war unglaublich schön für mich, es hat mein Herz berührt, denn ich spürte: Ich bin endlich angekommen.

evangelisch.de: Hast du darüber nachgedacht, in den Hochleistungssport zurückzukehren?

Buschbaum: Überhaupt nicht. Das war eine schöne Zeit, ich bin viel rumgekommen, habe Menschen getroffen, Länder gesehen, die ich normaler Weise wahrscheinlich nicht gesehen hätte und ich war dankbar dafür. Aber die Sportwelt ist mir ein bisschen zu klein. Sie funktioniert, aber jetzt bin ich auf etwas Größeres gestoßen.

evangelisch.de: Was willst du denn jetzt machen?

Buschbaum: Was es genau sein wird, weiß ich noch nicht. Die Aufklärung über Transsexualität weiter voranzutreiben, ist mir wichtig. Außerdem bin ich gerne als Trainer im Sport tätig, gebe meine Erfahrungen weiter, aber das reicht mir nicht. Mein ganzes Leben im Sport zu verbringen, würde mich verrückt machen. Ich weiß, dass meine nächste Herausforderung irgendwo da draußen auf mich wartet.


Balian Buschbaum hatte im November 2007 öffentlich angekündigt, ein Mann werden zu wollen. Damals hieß er noch Yvonne Buschbaum und war eine erfolgreiche Stabhochspringerin. Für seine Geschlechtsumwandlung gab Balian auch die Olympia-Teilnahme auf. Anfang 2010 war die Umwandlung abgeschlossen, nun hat Balian Buschbaum ein Buch geschrieben, in dem er sein (neues) Leben beschreibt: "Blaue Augen bleiben blau".


Maike Freund ist freie Journalistin in Dortmund.