Der Gründer der berüchtigten Deutschen-Siedlung "Colonia Dignidad" in Chile, Paul Schäfer, ist tot. Der 88-Jährige erlag am Samstagmorgen in einem Gefängniskrankenhaus einem chronischen Herzleiden, berichtete die Tageszeitung "La Tercera". Schäfer verbüßte in einem Hochsicherheitsgefängnis in der chilenischen Hauptstadt Santiago eine 33-jährige Haftstrafe. Er war bereits vor längerer Zeit ins Krankenhaus eingeliefert worden. Die Mitglieder der Siedlung sprachen sich gegen ein Begräbnis Schäfers auf dem Siedlungsgelände aus.
Paul Schäfer war 2006 wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen in 25 Fällen zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. In einem anderen Fall erhielt er eine dreijährige Gefängnisstrafe, weil er Kinder mit Elektroschocks quälen ließ und sie zur Einnahme von Psychopharmaka zwang. Eine weitere dreijährige Haftstrafe erhielt er wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. Zuletzt war er im November 2008 wegen Mordes zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden. Schäfer war 1997 untergetaucht und im März 2005 in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires verhaftet und nach Chile ausgeliefert worden. Seitdem saß er im Gefängnis.
Sexuelle Gewalt erst in Deutschland, dann in Chile
Der am 4. Dezember 1921 in Troisdorf bei Bonn geborene Schäfer war 1961 nach Chile ausgereist, nachdem die Staatsanwaltschaft in Deutschland Ermittlungen wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen gegen ihn aufgenommen hatte. In Chile gründete er Anfang der 60er Jahre die hermetisch abgeschottete Kolonie 400 Kilometer südlich von Santiago. Während der Diktatur von Augusto Pinochet (1973-1990) diente die "Colonia Dignidad" dem Geheimdienst DINA als Folterzentrum.
Zum Ende der Diktatur 1990 lebten fast 300 Menschen in der Kolonie. Es waren vor allem Deutsche, aber auch Chilenen, die als Kleinkinder ihren Familien entrissen worden waren. Inzwischen ist die Siedlung in "Villa Baviera" (bayerisches Dorf) umbenannt.
Der Sprecher der Siedlung, Martin Matthusen, sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Wenn ein Mensch stirbt, ist das immer traurig, und der Tod vielleicht nicht der Augenblick, um Urteile zu fällen". Es mache die Siedler jedoch traurig, dass Schäfer nie um Entschuldigung gebeten habe. Beim chilenischen Volk bitte die Siedlung um Vergebung für alles Leid, dass durch Mitglieder angerichtet worden sei. Auf keinen Fall werde Schäfer auf dem Gebiet der früheren Colonia Dignidad beerdigt, betonte Matthusen: "Dagegen hat sich die Gemeinschaft in einem eindeutigen Beschluss ausgesprochen." Die Siedlung sei zudem mit jener aus der Zeit unter Schäfers Führung nicht zu vergleichen. "Alles was heute existiert, hat mit dem hierarchischen und autoritären System von damals nicht mehr zu tun," so der Sprecher.
Chilenischer Präsident: "Göttliche Gerechtigkeit" für Schäfer
Der Rechtsanwalt von Opfern Schäfers aus der Siedlung, Hernán Fernández, forderte die Justiz seines Landes auf, nach dem Tod Schäfers die Ermittlungen gegen die Helfer des früheren Sektenchefs voranzutreiben: "Hier müssen endlich Urteile gefällt werden." Ähnlich äußerte sich die Not- und Interessengemeinschaft der Colonia Dignidad-Geschädigten aus Berlin. Sie forderte von den Behörden in Chile, dass nach dem Tod des Hauptverantwortlichen auch dessen Helfershelfer endlich ihre Strafe antreten müssten. Die fünf Jahre, die Schäfer in chilenischer Haft gesessen habe, seien viel zu wenig angesichts der Schwere seiner Schuld.
Der chilenische Präsident Sebastián Piñera versprach, die Justiz werde streng gegen weitere Schuldige der Siedlung vorgehen. "Wir werden nicht zulassen, dass Verbrechen gegen Jungen und Mädchen unseres Landes ungesühnt bleibt. Persönlich werde ich mich dafür einsetzen, dass die zuständigen Behörden alle dafür notwendigen Mittel an die Hand bekommen", sagte der Staatschef. Auf Schäfer warte nun die "göttliche Gerechtigkeit".