Hexen und Riesen: Der Vulkan als Mythos
Der Luftraum ist wieder frei, der Flugbetrieb beginnt sich zu normalisieren. Aber niemand weiß zu sagen, wann und wo vielleicht der nächste Vulkan ausbricht. Ein Berg, der raucht und donnert, der sogar Feuer spuckt, war den Menschen schon immer unheimlich. Ein Ausbruch wie der des Gletscher-Vulkans Eyjafjalla auf Island kann heute von Wissenschaftlern genau erklärt und analysiert werden. Ein Schauder bleibt trotzdem, lässt der isländische Vulkan doch spüren, wie abhängig die Menschen trotz aller technischen Errungenschaften von der Natur sind.
21.04.2010
Von Lieselotte Wendel

Um wie viel unheimlicher muss da ein rauchender und feuerspuckender Berg den Menschen früherer Zeiten gewesen sein. Sie konnten sich das Phänomen, das ihre Felder und Behausungen, und oft genug auch ihr Leben bedrohte, nicht erklären.

Und so gibt es zu vielen Vulkanen der Welt Erzählungen und Geschichten, die sich um ihre Entstehung drehen. Der Popocatépetl in Mexiko etwa soll einem Mythos der aztekischen Urbevölkerung zufolge seine Rauchfahne einer Fackel des Kriegers Popocatépetl verdanken. Die Königstochter Iztaccíhuatl, so heißt es, hatte sich das Leben genommen, als ihr Geliebter lange Zeit nicht von einem Feldzug zurückkehrte. Als dieser nun seine Geliebte bei der Rückkehr tot vorfand, soll er sie auf dem Berg beigesetzt haben. Seitdem, so die Sage, wacht er dort mit einer rauchenden Fackel an ihrer Seite.

Sitz der Götter

In den Gebirgsregionen Südamerikas gelten die hohen Berge bis heute vielen Menschen als Sitz der Götter. Und vor allem für diejenigen, die im und am Berg arbeiten, ist es selbstverständlich, dass sie bisweilen besänftigt werden müssen, auch wenn man sie liebevoll „tío“ (Onkel) nennt. "Das gilt nicht nur aber auch für Vulkane", weiß Dr. Mona Suhrbier, Kustodin für Amerika im Frankfurter Museum der Weltkulturen. Um von Unglück verschont zu bleiben, würden von Zeit zu Zeit Opfer von Schnaps und Zigaretten dargebracht.

Auf Hawaii ist der Mount Kilauea sagenumwoben. Die Feuergöttin Pele sei nach einer Auseinandersetzung mit ihrer Schwester Namak, der Göttin des Meeres, dorthin geflohen. Mit ihrem magischen Stab habe sie mehrer Vulkane geschaffen. Seitdem wohne sie auf dem Kilauea, wo sie ihr "Haar" in Form von Glas gewordenen Lavafäden ausbreitet.

Achtung vor dem Vulkan

Dr. Urte Undine Frömming, Professorin am Institut für Ethnologie an der freien Universität Berlin, hat bei ihren Feldforschungen auf der indonesischen Insel Flores unter den dort lebenden Klans Rituale vorgefunden, die auf eine ganz besondere Achtung vor dem Vulkan zurückgehen. Die Zwillingsvulkane Lewotobi laki-laki und Lewotobi perempuan in Ost-Flores gelten als Sitz der Ahnen. Dies gründet auf einem mündlich weitergebenen Ursprungsmythos. Die beiden Berge kamen demnach von weit her und siedelten sich in dem Gebiet des jetzigen Lamaholot an. Wenn diese Vulkane aktiv werden, was sie sehr unregelmäßig tun, dann gilt den an ihrem Fuß lebenden Menschen dies als Zeichen, dass die Ahnen unzufrieden über den Streit zwischen verschiedenen Klan-Gruppen sind.

Und so dient die erhöhte Vulkanaktivität den Klans als Anlass, ein Friedensritual zu vollziehen, das durchaus gefährlich ist. Die Opferzeremonien, die ganz bestimmten Regeln folgt und auch die Anwesenheit der Dorfältesten erfordert, muss nämlich unbedingt an den Vulkanhängen vollzogen werden. Bei einer Eruption im Jahr 1992 verweigerten daher die Dorfgemeinschaften eine Zwangsevakuierung duerch die regierung. In einer "Feuerpause" des Vulkans konnte das Ritual – glücklicherweise ohne Verletzte oder Tote – dort zu Ende gebracht werden.

Nymphomanische Riesin

Undine Frömming hat sich im Übrigen auch mit der Deutung von Katastrophen wie Vulkanausbrüchen oder Überschwemmungen in der isländisch-skandinavischen Mystik beschäftigt. In dieser Deutung, so hat sie erforscht, spielen Hexen oder Hexer oft eine Rolle. So wird von einer nymphomanischen Riesin namens Kráká erzählt, die von Zeit zu Zeit einen Hirten entführte, sich ausgiebig mit ihm vergnügte und ihn oft danach verspeiste. Wenn sie dabei gestört oder daran gehindert wurde, so die Sage, verfluchte sie die Menschen, die seitdem regelmäßig von Überschwemmungen heimgesucht wurden. In diesen Mythen sind nach den Erkenntnissen der Ethnologin häufig auch Hinweise zum Schutz vor solchen Katastrophen enthalten, etwa zum Bau von Dämmen, oder Betretungstabus von vulkanisch aktiven Zonen.

In einer riesigen Schlucht vulkanischen Ursprungs in Island, in der Almannagjá, soll sich übrigens auch das erste Gericht Islands, der Alpíng konstituiert und dort mehr als neun Jahrhunderte jährlich getagt haben. Auch das hat Frömming bei ihren Forschungen herausgefunden.

Vulkane in der Eifel

Aktive Vulkane gibt es in Deutschland keine – aber reichlich Zeichen für frühere Aktivitäten. So ist etwa das hessische Mittelgebirge Vogelsberg vulkanischen Ursprungs. Nicht wenige Geschichten werden dort über die Entstehung erzählt. So soll über dem Vogelsberg etwa der Teufel aus dem Himmel geworfen worden sein.

Und in der Eifel, die nicht umsonst ein weiten Teilen die „Vulkaneifel“ heißt, hat sich der zeitgenössische Autor Ulrich Schreiber mit der Frage befasst: "Was wäre, wenn?". Er hat einen "Geologie-Krimi" unter dem Titel „Die Flucht der Ameisen“ vorgelegt, der mit der beängstigenden Vorstellung spielt, dass durchaus auch vor unserer Haustür ein Berg Feuer spucken könnte.