Vor 100 Jahren starb der Schriftsteller Mark Twain
"Huckleberry Finn": Der Roman über einen jugendlichen Tramp, der mit einem entlaufenen schwarzen Sklaven auf einem Floß den Mississippi hinabschippert, gilt noch heute als das Meisterwerk Mark Twains.
21.04.2010
Von Claudia Schülke

Ernest Hemingway war der Ansicht, die gesamte US-amerikanische Literatur stamme von Mark Twains "Huckleberry Finn" ab: "Vorher gab es nichts. Seitdem gibt es nichts, was dem gleichkommt." Der Roman über einen jugendlichen Tramp, der mit einem entlaufenen schwarzen Sklaven auf einem Floß den Mississippi hinabschippert, gilt noch heute als das Meisterwerk Mark Twains (1835-1910). Das Vorgängerbuch "Tom Sawyers Abenteuer" hingegen machte vor allem als Jugendklassiker Karriere.

Mark Twain ist als Humorist bekannt. Doch als er vor 100 Jahren, am 21. April 1910, in Redding (Connecticut) starb, war er verbittert und vereinsamt. Seine stets kränkelnde Gattin Olivia Langdon war damals schon sechs Jahre lang tot. Ihr Erbe hatte er mit einer Fehlinvestition in eine Setzmaschine verbraucht. Von seinen vier Kindern überlebte ihn einzig Tochter Clara. Sein luxuriöses Domizil hatte er längst zugunsten eines unsteten Lebens als Vortragsreisender aufgeben müssen, um seine Schulden zu begleichen.

Der Mississippi ließ ihn nicht los

Dabei hatte Mark Twain von einem Leben in Wohlstand und mit Renommé geträumt. Am 30. November 1835 als Samuel Langhorne Clemens in dem Dorf Florida im Staate Missouri geboren, wuchs er in der Kleinstadt Hannibal am Ufer des Mississippi auf. Hier erlebte er als Schüler Abenteuer, wie er sie in "Tom Sawyer" erzählt: erste Liebe wie zwischen Tom und Becky, Schatzgräbereien in verwunschenen Häusern und labyrinthischen Höhlen, Angst vor undurchsichtigen Zeitgenossen wie dem mörderischen Halbblut Joe, den Tom vor Gericht zur Strecke bringt. Hier freundete sich der junge Samuel auch mit Tom Blankenship alias "Huck" an, dem Sohn eines stadtbekannten Alkoholikers.

Nach dem Tod des Vaters begann der Elfjährige eine Lehre als Schriftsetzer. Schon bald veröffentlichte er Artikel im "Hannibal Journal". 1852 verließ er die Heimatstadt, zog durch den amerikanischen Osten und Mittleren Westen und verfasste Reiseberichte. Doch der Mississippi ließ ihn nicht los: Bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs verdingte sich der Gelegenheitsautor als Steuermann auf den Raddampfern, die erst bei "mark twain", zwei Faden (2, 2/3 Meter) Mindestwassertiefe, auslaufen durften.

"Die schreckliche deutsche Sprache"

Zwei Wochen war er Soldat im Dienst der Konföderierten, dann setzte sich Twain als Goldgräber nach Virginia City ab. Als Reporter wob er dort unter seinem Seemanns-Pseudonym Mark Twain am Mythos des Wilden Westens. 1864/65 gelang ihm der literarische Durchbruch mit der Erzählung vom "Springfrosch von Calaveras". Eine Reise durch Europa und den Nahen Osten verarbeitete er in einer Reportagesammlung unter dem Titel "Die Arglosen im Ausland".

Nach seiner Heirat wurde Twain 1871 in Hartford (Connecticut) sesshaft. Dort verfasste er seine erfolgreichsten Bücher, darunter die Erinnerungen an das "Leben auf dem Mississippi". Fast alle seine Texte wurzeln in der Autobiografie. Auch sein "Bummel durch Europa" mit einem köstlichen Essay über "Die schreckliche deutsche Sprache". In Heidelberg hatte er sich mit einem Freund an Komposita und Bandwurmsätzen versucht: "Drei von unseren Lehrern waren darüber gestorben." Zuletzt plädierte er für eine Reform dieser Sprache: "Denn nur die Toten haben heutzutage noch Zeit genug, sie zu erlernen."

Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies der Kindheit

Stets hatte er die Gier nach Macht und Reichtum als Amerikas Krankheit bezeichnet und sich in Romanen wie "Der Prinz und der Bettelknabe" auf die Seite der Armen geschlagen. In seiner späten Erzählung "Der geheimnisvolle Fremde", die erst posthum veröffentlicht wurde, erklärt Twain die vermeintlich göttliche Ordnung der Welt als menschliches Hirngespinst.

Seinen Lesern bleibt er jedoch als Satiriker in Erinnerung, der die Umgangssprache literaturfähig gemacht hat und romantische Traditionen wie den Arthus-Mythos durch den Kakao zog. Seine Frau sah ihn als ewigen Jugendlichen, nannte ihn "Youth". Twain war ein Realist auf der Suche nach dem verlorenen Paradies der Kindheit.

epd