Der Vulkan beruhigt sich, der Flugverkehr noch nicht
Der Luftverkehr in Europa ist nach dem Stillstand wegen der Vulkanasche aus Island langsam wieder in Bewegung - doch im deutschen Luftraum herrscht Streit: Die Deutsche Flugsicherung will weiterhin nicht die Verantwortung für Flüge durch möglicherweise gefährliche Vulkanasche übernehmen. Die Fluggesellschaften fliegen aber trotzdem, und zwar auf Sicht. Der Vulkan selbst scheint sich mittlerweile zu beruhigen.
20.04.2010
Von Annett Klimpel

700 bis 800 Flugzeuge mit Zehntausenden von Menschen an Bord waren am Dienstag über Deutschland unterwegs - trotz der Vulkanasche aus Island und oft auf eigene Verantwortung der Piloten. Denn die Deutsche Flugsicherung (DFS) verlängerte die Sperrung des Luftraumes am Abend zwar ein weiteres Mal - nun bis Mittwochfrüh um 2 Uhr -, aber die Fluglinien nutzten eine Sondergenehmigung des Luftfahrtbundesamtes und schickten ihre Flugzeuge trotzdem in die Luft. Die Ausnahmeregelung für Flüge auf Sicht ist umstritten. Die Verantwortung für die Flüge liegt dabei nicht bei der Flugsicherung, sondern bei den Piloten selbst, wie der DFS-Sprecher Axel Raab sagte.

Fluglinien nutzen Ausnahmeregelung fleißig

Im Kern dreht sich der Streit um die Daten zur Aschewolke. Die Fluggesellschaften kritisieren, dass die Sperrung vor allem auf Computersimulationen beruhe und sehen keine Gefahr am strahlend blauen Frühlingshimmel. Sie ließen die Jets wieder starten. "Schon bei den Überführungsflügen am Samstag sind die Maschinen zum Teil bis 8.000 Meter aufgestiegen und in Bereiche geflogen, in denen die Aschewolke nach den Simulationsberechnungen vermutet wurde", sagt Lufthansa-Sprecher Andreas Bartels. Dabei seien keinerlei Schäden an den Triebwerken festgestellt worden, ebenso nach den jüngsten Flügen am Montag und Dienstag.

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Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hatte am Montagabend nach einer Telefonkonferenz mit den EU-Verkehrsministern erklärt, die Fluggesellschaften dürften Passagiere mit kontrollierten – also von Radarlotsen unterstützten – Sichtflügen befördern. Eigentlich dürfen gewerbliche Passagierflüge mit Maschinen von mehr als 14 Tonnen Gewicht überhaupt nicht nach Sichtflugregeln starten.

Die deutschen Fluggesellschaften machten aber eifrig von Ausnahmeregelung Gebrauch, vor allem, um gestrandete Reisende heimzubringen. Allein die Rewe Touristik erwartete bis zum Abend 90 Prozent ihrer fast 15.000 Gestrandeten zurück, Tui wollte im Tagesverlauf 20.000 Urlauber nach Hause holen. Am Montag hatten noch rund 100.000 Pauschaltouristen und eine unbekannte Zahl von Individualreisenden im Ausland festgehangen. Nach Angaben der Deutschen Flugsicherung (DFS) waren am Dienstag zwischen 700 und 800 Verkehrsflugzeuge unterwegs. Das sind sieben bis acht Prozent der sonst üblichen 10.000.

Vulkan spuckt nur noch Lava und Wasserdampf

Unterdessen schien sich die Basis allen Übels zu entschärfen: Der Vulkan am Eyjafjalla-Gletscher stoße Lava und "fast reinen Wasserdampf" aus und kaum mehr Asche, teilte das Meteorologische Institut in Reykjavik mit. Die Rauchwolke erreiche auch nicht mehr die Höhe, von der aus sie der Luftstrom auf den europäischen Kontinent bringen könne. Die bereits bestehende Wolke könne sich aber weiter halten oder auch verschieben. Insgesamt waren über Europa nach Angaben von Eurocontrol, der europäischen Luftsicherheitsbehörde, rund drei Viertel des Luftraums am Dienstag wieder offen für den Flugverkehr.

Die Pilotenvereinigung Cockpit kritisierte die Ausnahmeregelung für die Fluggesellschaften. An der wissenschaftlichen Einschätzung der Gefährlichkeit habe sich nichts geändert, sagte Vorstandsmitglied Jörg Handwerg am Morgen dem Deutschlandfunk: "Man hat nur eine juristische Winkelkonstruktion gesucht, um die Flugzeuge in die Luft zu bringen."

Gesellschaften, die in Deutschland nach dieser Regelung unterwegs sind, durchfliegen nach Angaben der Flugsicherung auch Luftschichten mit Asche darin – auf eigenes Risiko. "Diese Verantwortung können wir nicht übernehmen", sagte DFS-Sprecher Raab der Nachrichtenagentur dpa. Ab 6.000 Meter Flughöhe sind die Fluglotsen allerdings wieder verantwortlich, denn die Aschewolken liegen niedriger. Neben Flügen über 6.000 Meter gebe es auch die Variante, dass die Maschinen unter 3.000 Meter hoch fliegen und erst in freigegebenem Luftraum, etwa in den Niederlanden, höher steigen, erklärte Air Berlin auf Anfrage.

Fluggäste müssen sich nicht auf Sichtflüge einlassen

Auf Sichtflüge einlassen müssen sich Reisende nach Auffassung des Frankfurter Flugrechtsexperten Prof. Ronald Schmid nicht. "Wem das zu unsicher erscheint, kann auch eine Umbuchung verlangen", sagte der Anwalt. Wenn die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) solche Flüge in der gegenwärtigen Situation für unverantwortlich halte, müsse der Laie nicht zu einem anderen Ergebnis kommen. Ein gewisses "Restrisiko" bleibe aber, dass der Passagier auf zusätzlichen Kosten sitzen bleibe.

Klar ist laut Schmid die Haftungsfrage im Falle eines Absturzes geregelt. Da müssten die Fluggesellschaften auch für Fehlleistungen ihrer Angestellten einstehen. Die Piloten, die auf Anweisung ihrer Gesellschaften die Sichtflüge durchführten, seien zwar für ihre Maschine verantwortlich. Ein zusätzliches Haftungsrisiko gingen sie aber nicht ein. Schmid zeigte sich irritiert über die Argumentation einiger Fluggesellschaften, dass doch bereits mehrfach Flugzeuge unfallfrei geflogen seien: "Das erinnert mich an ein kleines Kind, das sagt, dass es auch gestern nicht auf einem zugefrorenen See eingebrochen ist."

In Europa könnten rund die Hälfte aller eigentlich vorgesehenen Flüge stattfinden, schätzte die europäische Luftsicherheitsbehörde in Brüssel. Jenseits von sechs Kilometern Höhe sei inzwischen der komplette europäische Luftraum geöffnet. Darunter sei die Konzentration der Vulkanasche aus Island vor allem in Nordwest-Europa noch so hoch, dass oft Einschränkungen nötig seien.

Aschekonzentration wird gemessen

Die am Montag vereinbarte EU-Regelung sieht vor, dass der Luftraum nur noch dort gesperrt wird, wo eine bestimmte Konzentration der Asche überschritten wird. "Wenn die Konzentration das Zehnfache des normalen Wertes beträgt oder überschreitet, wird das betroffene Gebiet gesperrt", sagte eine Sprecherin der Eurocontrol. Die Konzentration lasse sich mit Satelliten ermitteln, deren Instrumente die Vulkanasche in der Luft nachweisen können.

(Das Bild links zeigt den Luftraum über Deutschland, aufgenommen aus dem Cockpit des Forschungsflugzeugs vom Typ Dassault Falcon 20E am Montag, 19. April. Das Messflugzeug des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat die Dichte der Ascheteilchen in der Luft und ihre Größe gemessen. Foto: dpa/ DLR)

Deutschland lag zunächst an der östlichen Grenze des gesperrten Luftraums. Andere Regionen wie Tschechien, Südpolen und das östliche Österreich waren frei. In den Niederlanden nahmen die Flughäfen den Betrieb schrittweise wieder auf, auch der Luftraum über großen Teilen Frankreichs und Norditaliens war offen. Das Gebiet über Großbritannien und Irland war wie in den Tagen zuvor noch mit Flugverboten belegt.

Fluggesellschaften und Flughäfen wollen staatliche Hilfe

Airlines und Flughäfen in Europa verlangen wegen ihrer Millionenverluste immer lauter staatliche Unterstützung. Der europäische Verband der Flughäfen ACI Europe und der Verband der Fluggesellschaften AEA forderten in einer gemeinsamen Erklärung eine "angemessene Antwort auf europäischer Ebene", Finanzspritzen etwa für Notfall-Leistungen wie Verpflegung und Übernachtungen. "Allein die Flughäfen haben in den vergangenen fünf Tagen mindestens 200 Millionen Euro verloren", sagte ein Sprecher von ACI Europe.

Nach Angaben der EU-Kommission hat bislang noch keines der 27 EU- Mitgliedsländer seine Fluggesellschaften mit Staatsgeld unterstützt. Staatliche Beihilfen können von nationalen Regierungen gezahlt werden, die Brüsseler EU-Wettbewerbshüter müssen die Summen aber genehmigen. Die EU-Kommission hatte bereits in Aussicht gestellt, die Auflagen für staatliche Subventionen zu lockern und Beihilfen schneller zu genehmigen. Sie will zudem in der kommenden Woche einen ersten Bericht über die wirtschaftlichen Folgen des Chaos' im vorlegen.

dpa/ han