Afghanistan-Truppe nach Klein-Entscheidung erleichtert
Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen Oberst Klein wegen der Bombennacht von Kundus eingestellt. Es ist ein deutliches Signal an die Soldaten in Afghanistan, denen die Entscheidung eine Handlungsfreiheit gibt, die sie - so sagen jedenfalls die Soldaten - auch brauchen.
20.04.2010
Von Michael Fischer

"Im Einsatz stehst Du mit einem Bein im Grab und mit dem anderen im Gefängnis." Dieser Spruch hat in den vergangenen Monaten unter den Bundeswehrsoldaten in Afghanistan die Runde gemacht. Gemünzt war er auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Oberst Georg Klein, der am 4. September 2009 die Bombardements zweier Tanklaster bei Kundus befohlen hat, durch die bis zu 142 Menschen getötet oder verletzt wurden. Seit Montag hat der Spruch deutlich an Aktualität eingebüßt: Die Einstellung der Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe wurde bei der Truppe in Afghanistan mit Genugtuung aufgenommen.

Endlich gebe es "Handlungssicherheit", sagt ein gefechtserprobter Soldat, der schon mehrere Afghanistan-Einsätze hinter sich hat. "Damit steht und fällt das alles hier." Der Zugführer habe nun bei schwierigen Entscheidungen im Gefecht die Sicherheit, "dass er nicht sofort eingekerkert wird", sagt ein anderer Soldat.

"Oberst Klein ist zu einer Symbolfigur geworden"

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, hatte bereits vor Wochen darauf hingewiesen, welche Bedeutung der Fall Klein für die Truppe in Afghanistan hat. Viel wichtiger als der Untersuchungsausschuss des Bundestag sei für sie die Frage, was mit Klein passiere. "Das beschäftigt wirklich alle. Oberst Klein ist zu einer Art Symbolfigur geworden", sagte Kirsch in einem Interview. "So, wie er behandelt wird, so fühlen sich alle Soldatinnen und Soldaten behandelt, die in die Einsätze gehen im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland."

Die Entscheidung über den Einsatz von Bomben und schweren Geschützen im Kampf gegen die radikalislamischen Taliban wird aber auch künftig schwierig sein. Die Karlsruher Entscheidung ist alles andere als ein Freibrief für Bombardements von Taliban-Stellungen in den Unruheprovinzen Kundus und Baghlan. Nach wie vor müssen die Soldaten sicherstellen, dass keine Zivilisten zu Schaden kommen. Hundertprozentige Sicherheit gibt es aber nicht. In Zweifelsfällen fiel die Entscheidung spätestens seit den Tanklaster-Bombardements stets gegen den Einsatz schwerer Waffen.

"Letztendlich können Sie nie wissen, ob sie einen Taliban erwischen"

In der Truppe ist vom "Oberst-Klein-Syndrom" die Rede. Diese innere Barriere ist den Taliban sehr wohl bekannt. Deswegen greifen sie die deutschen Patrouillen meistens in oder in der Nähe von Ortschaften an, verschanzen sich in Gehöften und wechseln ihre Stellungen unbewaffnet - auch dann darf nicht auf sie geschossen werden.

"Regelmäßig sehen wir, dass der Gegner zivile Personen und Kinder als Schutzschild nutzt", sagt der Kommandeur der "Quick Reaction Force" ("Schnelle Eingreiftruppe") der Bundeswehr in Afghanistan, Oberst Michael Matz: "Das ist das Dilemma, dem jeder gegenübersteht: Wo ist der Gegner, und wer ist der Gegner?" Das berichtet auch ein Soldat, der bei den blutigen Gefechten am Karfreitag mit drei Toten auf deutscher Seite dabei war. "Letztendlich können Sie nie wissen, ob Sie einen Taliban erwischen oder ob Sie einen Zivilisten erwischen", sagt er.

Mehr schwere Waffen in den Einsatz?

Bei den Kämpfen am Karfreitag wurde amerikanische Luftunterstützung angefordert, Bomben fielen aber nicht. Bei dem Gefecht am Rande der Ortschaft Isa Khel konnte nicht ausgeschlossen werden, dass Zivilisten getroffen werden. Tiefflüge, im Militärjargon "Show of Force" ("Androhung von Gewalt") genannt, verfehlen nach Ansicht vieler Soldaten ihre Wirkung. "Da erschrecken Sie nicht mal ein afghanisches Kind mit", sagt einer.

Die Karlsruher Entscheidung könnte die Hemmschwelle für den Einsatz schwerer Waffen senken. Schon jetzt wird darüber diskutiert, ob die Artillerie, mit der die Bundeswehr in Afghanistan in den nächsten Wochen aufgerüstet wird, zum Einsatz kommen kann oder im Feldlager verstauben wird. Zwei Exemplare der Panzerhaubitze 2000 sollen in Kundus stationiert werden. Deren 155-Millimeter-Geschosse können ihr Ziel selbst auf eine Entfernung von 40 Kilometern auf 30 Meter genau treffen. Über ihren Einsatz wird wieder ein einzelner Befehlshaber nach Abwägung aller Informationen über die Gefechtslage entscheiden. "Es ist immer eine Einzelfallentscheidung", sagt Oberst Matz.

dpa