Sensibler Unbekannter spendet Millionen
Eine schier unglaubliche Geschichte, die sich am Anfang jedes Jahres in Görlitz wiederholt: Schon 16 Mal ging seit 1995 auf das Görlitzer Stadt-Konto gut eine halbe Million Euro ein.
19.04.2010
Von Anett Böttger

Der genaue Absender muss ein Geheimnis bleiben - wird es gelüftet, versiegt die kostbare Quelle. Bekannt ist lediglich der Wille des anonymen Gönners, dass sein Geld in die Sanierung der Baudenkmäler fließen soll.

Doch die aktuellen Entwicklungen in der sächsischen Stadt an der deutsch-polnischen Grenze scheint er oder sie ausgesprochen aufmerksam zu verfolgen. Als diskutiert wurde, ob Görlitz seine Untere Denkmalschutzbehörde an den gleichnamigen Landkreis abgeben sollte, drohte gar der Verlust der großzügigen Spende. Ein Brief schreckte die Stadt im Februar auf. "Wenn befürchtet werden müsste, dass die Fördersumme nicht mehr ihren gedachten Zweck erreicht, dann ergäbe sich eine neue Lage", ließ der unbekannte Mäzen über seinen Anwalt mitteilen.

Görlitz hat rund 4.000 Einzeldenkmäler

Würde Görlitz die Aufsichtspflicht für seine Denkmäler aus der Hand geben, könne die mit seinem Geld ausgestattete Altstadtstiftung ihre Aufgaben nicht mehr optimal wahrnehmen, fürchtete der Spender. "Der Stifter ist sehr sensibel", weiß Oberbürgermeister Joachim Paulick (parteilos). Dass sich die Stadt weiterhin eine eigene Denkmalschutzbehörde leisten will, sei inzwischen fraktionsübergreifend Konsens im Stadtrat.

Görlitz gilt mit rund 4.000 Einzeldenkmälern gewissermaßen als Architekturlexikon. Die Altstadt mit Häusern aus der Gotik, der Renaissance und des Barock sowie das große Gründerzeitviertel sind weitgehend im Original erhalten. Gerade die wertvolle Bausubstanz wurde zu DDR-Zeiten sträflich vernachlässigt. Am Stadtrand entstanden dafür Plattenbauviertel. Mit Hunderten Millionen Euro hat Görlitz seit 1990 schrittweise neuen Glanz bekommen, auch dank des anonymen Gönners. Anfangs floss seine jährliche Spende nur in die Altstadt, später wurde die Vergabe der Mittel auf Denkmäler außerhalb des historischen Kerns ausgedehnt, erinnert sich Paulick.

Ein "Nutznießer": Die Evangelische Kulturstiftung in Görlitz

Den Geldsegen verwaltet die Altstadtstiftung, die an die Görlitzer Denkmalschutzbehörde angeschlossen ist. Diese leistet die fachliche Vorarbeit für das fünfköpfige Stiftungskuratorium, das alljährlich im Frühjahr entscheidet, wie die 511.500 Euro verteilt werden sollen. Ende April ist es wieder soweit. In dem Gremium sitzt auch der Anwalt des unbekannten Gönners, der seine Kanzlei in München hat. 81 Anträge mit einem Volumen von insgesamt 2,4 Millionen Euro sind in diesem Jahr eingegangen, sagt der Oberbürgermeister.

Peterskirche, Synagoge, Biblisches Haus oder die Turmuhren am Rathaus - mehr als 600 private, kirchliche und öffentliche Objekte profitierten bereits von der "Altstadtmillion". Diese Bezeichnung stammt aus der Zeit vor der Währungsumstellung, als der Mäzen genau eine Million D-Mark überwies.

Ein "Nutznießer" der Spende ist seit Jahren die Evangelische Kulturstiftung in Görlitz. Die Zuschüsse für 2009 bezifferte die Vorstandsvorsitzende Margrit Kempgen auf etwa 12.000 Euro. Das Geld hilft der Stiftung, ein beachtliches bauhistorisches Erbe zu erhalten: die Nikolaikirche, das Heilige Grab mit vier Kapellen sowie den Nikolaifriedhof mit 16 Grufthäusern und etwa 700 Grabsteinen. Kempgen bedauert die Anonymität des treuen Geldgebers. "Ich würde gern zeigen, was wir gemacht haben. Dankbarkeit ist etwas, was man eigentlich jemanden persönlich sagen möchte."

Spekulationen über den Stifter

2005 ehrte die italienische Organisation "Arca dell' Arte" den Unbekannten für sein Engagement um die Bewahrung von Kulturschätzen. Die Auszeichnung nahm der damalige Görlitzer Oberbürgermeister Rolf Karbaum (parteilos) entgegen, damit der Spender weiter unerkannt blieb. Immer wieder gibt es Spekulationen, woher dieser stammen könnte. Anfangs kursierte das Gerücht, er lebe vermutlich im Fürstentum Liechtenstein.

"Der Stifter möchte keine Nachforschungen zu seiner Person", macht Karbaums Nachfolger deutlich. Sobald der Name bekanntwürde, sei Schluss. Paulick glaubt, dass der Gönner ab und zu selbst vorbeischaut. "Er oder sie freut sich ganz bescheiden, wie gut sein Geld angelegt ist", mutmaßt der Rathauschef.

dpa