Auf einer Versammlung der Bischöfe mit möglichst vielen Laien solle ehrlich über die tiefste Vertrauenskrise seit der Reformation gesprochen werden, sagte der Tübinger Theologe Hans Küng (82) am Samstag in einem SWR-Interview. Der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff (71) erklärte in einer Bilanz der fünfjährigen Amtszeit von Papst Benedikt XVI. der "Süddeutschen Zeitung", nur ein Konzil könne die katholische Kirche vor dem "völligen Niedergang" retten.
Das letzte große Konzil in der katholischen Kirche fand vor mehr als 40 Jahren statt. Am Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) hatten mehr als 2.000 Konzilsväter und über 100 Beobachter anderer christlicher Kirchen teilgenommen. Es gilt als Meilenstein der Kirchengeschichte. Die Konzilsergebnisse hatten den Weg zu mehr Ökumene eröffnet und das Verhältnis der römisch-katholischen Kirche zur Welt modernisiert.
Küng: Historischer Vertrauensverlust
Küng erklärte, gegenwärtig bestehe die Gefahr, dass "die abgehobene Hierarchie in der katholischen Kirche nicht mehr zur Kenntnis nimmt was in der Bevölkerung los ist". Dem katholischen Theologen zufolge steht die katholische Kirche vor einer Wende. Küng, dem Rom 1979 die Lehrerlaubnis entzogen hatte, hatte bereits in der vergangenen Woche in einem offenen Brief die katholischen Bischöfe angesichts eines "historischen Vertrauensverlusts" aufgerufen, auch gegen den Willen des Papstes Reformen in der Kirche einzuleiten.
Unterstützung erhielt Küng von der internationalen Laienbewegung "Wir sind Kirche". Auch diese forderte zum fünften Jahrestag der Wahl von Papst Benedikt XVI. eine umfassende Reform der katholischen Kirche. Die immer lauter werdende Kritik an seinem Pontifikat sollte der Papst als Ausdruck der "tiefen Besorgnis der Gläubigen" um das Wohlergehen der Kirche verstehen, heißt es in einer am Samstag veröffentlichten Erklärung mit Blick auf die Missbrauchsskandale. Der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger war am 19. April 2005 zum Papst gewählt worden.
"Überholte patriarchalische Strukturen"
Die vielen Fälle sexualisierter Gewalt und ihre Verschleierung seien zurückzuführen auf "die inhumane Auffassung von Sexualität und auf überholte patriarchale Machtstrukturen", erklärte die internationale Vorsitzende von "Wir sind Kirche", Raquel Mallavibarrena (Madrid). So müsse die Zölibatsverpflichtung aufgehoben und Frauen zu allen kirchlichen Ämtern zugelassen werden. Die ersten fünf Jahre des Pontifikats von Benedikt enthüllten mehr und mehr die grundlegende Schwäche des ganzen Systems der römisch-katholischen Kirche, hieß es weiter. Beispiele seien die hierarchische Verfassung, die "Zwei-Klassen-Gesellschaft" von Priestern und "Laien" sowie ein römischer Zentralismus, der den Ortskirchen kaum eine Eigenverantwortung zugestehe.
Der brasilianische Befreiungstheologe Boff wirft Papst Benedikt XVI. vor, unfähig zu grundlegenden Reformen der Kirche zu sein. Papst Benedikt schaffe es nicht, "den Lehrer sein zu lassen und sich ganz als Hirte zu begreifen", sagte Boff: "Es mangelt ihm quasi an allem, insbesondere aber an Charisma." Er sollte mehr an den "Geist glauben als an Traditionen und Doktrinen". Als einer der Begründer der Befreiungstheologie wurde Boff 1985 von der Glaubenskongregation mit Lehr- und Redeverbot belegt.
Weber zieht gemischte Bilanz
Der lutherische Ökumene-Experte Friedrich Weber zog eine gemischte Bilanz des Pontifikats von Benedikt XVI. Zwar sei Benedikt ein "verlässlicher Partner in der Ökumene", sagte der braunschweigische Landesbischof und Catholica-Beauftragte der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) dem epd. Auf der anderen Seite vertrete Benedikt nach wie vor viele Positionen, "die wir nicht teilen". Der Theologieprofessor Weber erinnerte an die "deutsche Zeit" von Ratzinger als Konzilstheologe, Hochschullehrer und Münchner Kardinal. Damals habe er erstaunliche Impulse zur Ökumene gegeben.