Zwischen Notbetten und Chaos: Airports in der Schockstarre
Zwischen Notbetten und explodierten Hotelpreisen: Auf vielen Flughäfen in Europa sind Passagiere gestrandet - weil die Aschewolke in tausenden Metern Höhe derzeit Luftfahrt unmöglich macht. Wielange die Sperrungen noch andauern, ist unklar. Gefahr für Mensch und Tier am Boden besteht nicht.

Das Chaos an den europäischen Flughäfen wegen der Aschewolke aus Island wird immer größer. 60 Prozent aller Flüge in Europa fielen am Freitag aus, teilte die Flugsicherheitsbehörde Eurocontrol in Brüssel mit. Die Wolke werde nach Südosten weiterziehen und mindestens noch bis Samstagvormittag den Flugverkehr lähmen. Am Freitag gaben nach den westlichen Ländern nun auch Polen, Tschechien und Österreich Sperrungen bekannt. Sogar in Russland zwangen die winzigen Aschepartikel aus Island etliche Maschinen auf den Boden. Ausländische Fluggesellschaften strichen viele ihrer Flüge nach Europa.

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In Europa starten und landen täglich normalerweise etwa 28.000 Flugzeuge - für Freitag rechnete Eurocontrol mit 11.000 Flugbewegungen. In Deutschland starten und landen täglich rund 6.500 Flüge mit 500.000 Passagieren.

Von den normalerweise 300 Transatlantikflügen, die vormittags in Europa landen, kamen nur etwa ein Drittel an. In Großbritannien, Frankreich, Belgien und den Niederlanden saßen hunderttausende Reisende an den Flughäfen fest - nachdem sie teils bereits eine Nacht auf Feldbetten in den Wartehallen zugebracht hatten. Nicht nur Urlauber, sondern auch Teilnehmer von Sportveranstaltungen und Konferenzen erreichten ihre Ziel nicht.

Wo landet Merkel?

In Deutschland sind aktuell folgende Airports gesperrt: Hamburg, Bremen, Hannover, Tegel und Schönefeld in Berlin, Münster/Osnabrück, Düsseldorf, Köln, Frankfurt, Leipzig, Erfurt, Dresden und Saarbrücken. Der zweitgrößte deutsche Flughafen in München ist zwar noch geöffnet, Flüge Richtung Süden sind möglich. Aber auch hier sollte ein Viertel der geplanten 1.200 Flüge ausfallen, die Aschewolke sollte den Airport am Abend erreichen.

Der Flughafenverband ADV geht bereits von "enormen wirtschaftlichen Auswirkungen" auf die deutschen Flughäfen aus. "Der Vulkanausbruch wird den Flughäfen täglich Verluste in Millionenhöhe bescheren", sagte Sprecherin Friederike Langenbruch evangelisch.de

Reiseprobleme hatte auch so mancher Spitzenpolitiker. Norwegens Ministerpräsident Jens Stoltenberg landete am Freitag nach einem Besuch in den USA in Madrid statt in Oslo. Die Entfernung zwischen den Hauptstädten Spaniens und Norwegens beträgt 3.000 Kilometer. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel könnte betroffen sein: Am Morgen war noch nicht klar, ob ihr aus den USA kommender Flieger am Nachmittag in Berlin landen kann oder einen südlicher liegenden Flughafen ansteuern muss.

In Frankreich verstärkten die Schließungen ohnehin vorhandenes Chaos: Bei der Staatsbahn SNCF wird seit Tagen gestreikt, zudem beginnen in einem Teil des Landes die Frühlingsferien, in einem anderen enden sie. Am Morgen machten dann auch noch 25 Flughäfen dicht, darunter die beiden Großflughäfen von Paris. Am Flughafen Amsterdam Schiphol seien 1.500 Notbetten aufgestellt worden, teilte das niederländische Rote Kreuz mit. Verärgert zeigten sich viele Menschen über die Hoteliers der Umgebung: Die Preise selbst der billigsten Hotelzimmer seien sofort in die Höhe geschossen, berichtete der Nachrichtensender NOS. Eine Übernachtung habe teils statt 60 bis zu 200 Euro gekostet.

Sultan zahlt Hotelkosten

Über eine generöse Geste konnten sich dagegen Flugreisende aus Saudi-Arabien freuen: Alle in London Gestrandeten dürften auf Kosten von Kronprinz Sultan im Hotel übernachten, berichtete die Zeitung "Saudi Gazette". Der Prinz habe der Botschaft in London mitgeteilt, er wolle für seine Landsleute die Hotelrechnungen begleichen.

Unterdessen gaben die Behörden in Schweden und Norwegen den Flugverkehr in den jeweils nördlichen Landesteilen wieder begrenzt frei. Die Konzentration von Lavaasche in der Luft habe deutlich abgenommen, hieß es. In der Region hatten zeitweise auch keine Rettungshubschrauber oder -flugzeuge mehr abheben dürfen - fatel vor allem für Kranke und Verletzte in dünn besiedelten Gebieten.

Für Rettungsflieger in Deutschland steht ein Flugverbot derzeit nicht zur Debatte. "Wir fliegen unter 1.000 Fuß. Die Aschewolke ist viel weiter oben", sagte eine ADAC-Sprecherin in München. Dies gelte auch für andere Rettungsdienste.

London bis Samstag dicht

Klar war am Freitagmittag, dass zumindest der britische Luftverkehr mindestens bis Samstagmorgen stillgelegt bleibt. Am Freitag herrschte auf dem Londoner Flughafen Heathrow - einem der wichtigsten Drehkreuze der Welt - gespenstische Stille. Auf den Eurostar umsteigen konnten viele Reisende nicht: Auch am Freitag waren alle Züge von Brüssel oder Paris nach London ausgebucht. Dies gelte auch für den Samstag und in umgekehrte Richtung, sagte ein Sprecher. "Der Ansturm ist gigantisch." Auch in Deutschland drängten sich in vielen Zügen und Bussen die Reisenden dicht an dicht, die ursprünglich einen Flieger hatten nehmen wollen. Wegen der Nachfrage werde die Kapazität bei Linienbussen um teils 500 Prozent aufgestockt, teilte die Deutsche Touring in Frankfurt mit.

Wie lange die Sperrungen noch andauern werden, konnten die Experten zunächst nicht abschätzen. "In Europa hat es noch niemals eine vulkanische Eruption gegeben, die zu solch einer großen Aschewolke führte", sagte Eurocontrol-Chef Brian Flynn. Der Vulkan stößt derzeit allerdings weniger gefährliche Stoffe aus und hat an Kraft verloren. Das ergab ein nächtlicher Überwachungsflug der isländischen Küstenwacht. Die Aschewolke habe jetzt eine "reinere" Zusammensetzung, sie bestehe fast nur noch aus Wasser sowie Steinpartikeln. Dies bedeutete aber nicht, dass sich ein Ende des Ausbruchs abzeichne.

"Je nachdem, was der Vulkan noch ausspuckt und wie sich die Winde entwickeln, wird es weiterhin große Probleme geben", sagte Brian Flynn. "Außerdem muss man bedenken, dass die bisherigen Flugausfälle natürlich ihre Nachwirkungen haben. Von Normalität sind wir noch weit entfernt." Vulkanexperten in Reykjavik verwiesen darauf, dass der letzte Ausbruch des Vulkans im Jahr 1821 erst nach zwei Jahren endete - wobei Phasen mit starker und schwacher oder gar keiner Aktivität sich einander ablösten.

Bisher keine Auswirkung aufs Klima

Die riesige Aschewolke hat nach Einschätzung des Hamburger Max-Planck-Instituts für Meteorologie keine Auswirkungen auf das weltweite Klima. "Die Asche selbst macht nicht viel", sagte die Physikerin Claudia Timmreck am Freitag in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Der Flugverkehr reagiere zwar sehr empfindlich auf die kleinen, festen Ascheteilchen, nicht aber das Klima. "Der wirkliche Effekt von Vulkanen hängt davon ab, wieviel Schwefel in die Stratosphäre kommt. Und bei diesem Vulkan ist nicht so viel Schwefel rausgekommen."

Das Klima werde voraussichtlich nur dann beeinflusst, wenn noch mehrere Ausbrüche folgten, erklärte Timmreck. "Wenn wir über mehrere Wochen permanent solche Eruptionen hätten, wäre das eine andere Sache. Dann würde ja ständig sozusagen nachgeliefert." Eine schwächere Sonneneinstrahlung könnte etwa die Folge sein.

In der Geschichte gebe es ein klassisches Beispiel für einen Vulkan, der das Klima beeinflusst hat, berichtete Timmreck - und zwar die Laki-Eruption 1783/84 in Island. "Da hat man einen Klimaeffekt beobachtet, der Sommer hatte extreme und ungewöhnliche Wetterbedingungen." Der Laki-Vulkan sei aber auch mehrere Monate lang immer wieder aktiv gewesen und habe relativ viel Schwefel in die Stratosphäre gebracht. "Wenn ein Laki heute ausbrechen würde, würde er über mehrere Monate den Flugverkehr über Nordeuropa beeinträchtigen, lahmlegen."

dpa/hen