Ein konfessionsgemischtes Ehepaar, das seine Kinder seinerzeit katholisch taufen ließ, will diese nun evangelisch werden lassen. Bei Pfarrer Reinhardt Schellenberg, Pfarrer der evangelischen Thomasgemeinde in Hofheim-Marxheim, haben die Eltern um die Aufnahme ihrer Kinder in die evangelische Kirche nachgesucht. "Vor allem der Umgang der katholischen Kirche mit den missbrauchenden Priestern hat sie enttäuscht", sagt der Pfarrer.
Die Gründe für Austritte aus der katholischen und übrigens auch aus der evangelischen Kirche sind in der Regel nicht leicht festzustellen, müssen sie doch bei der Austrittserklärung vor dem Amtsgericht nicht genannt werden. Vermutungen allerdings sind möglich und erlaubt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung etwa meldete, dass sich im März im katholischen Bistum Freiburg die Zahl der Austritte im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht hat. Da liegt der Schluss nahe, dass die breite öffentliche Diskussion um Missbrauch von Kindern durch katholische Priester eine Rolle bei der Entscheidung der Menschen gespielt hat.
Kann man in Freiburg von einem Trend sprechen, so ist dieser in anderen Bistümern bisher nicht zu verzeichnen. Eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) hatte zum Beispiel in den Bistümern Köln und Paderborn kein nennenswerten Steigerungen bei den Austrittszahlen ergeben.
"Wir haben derzeit keine gesicherte Datengrundlage, aber ich kann mir einen wesentlichen Anstieg der Zahlen nicht vorstellen", gibt sich Dr. Joachim Schmidt zuversichtlich. Der Oberkirchenrat ist bei der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in Darmstadt für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Er kann dagegen von Einzelfällen berichten, in denen Katholiken sich nach den Bedingungen für einen Eintritt in die evangelische Kirche erkundigt haben.
Kirchenaustritt spart Steuern
Dass die Kirchen seit Jahren Mitglieder verlieren, ist eine Tatsache. Die Gründe haben meistens entweder mit Geld oder mit Verärgerung über das Verhalten von kirchlichem Personal zu tun, ist die Erfahrung von Pfarrer Reinhardt Schellenberg. In seiner von Bildungsbürgertum und Mittelschicht geprägten Gemeinde registriert der evangelische Geistliche seit Jahren Austritte – wie in allen Kirchengemeinden Deutschlands. Über die Gründe sprechen die Menschen allerdings nur immer dann, wenn sie wieder eintreten wollen.
Steuern sparen heißt meistens der Grund für den Austritt. Da gibt es die, die neu im Beruf ihr erstes Geld verdienen. Oder die gut situierten Banker oder Menschen aus den Management-Etagen, die mit einer guten Abfindung "freigestellt" wurden.
Aber es gibt natürlich auch diejenigen, die sich über den Pfarrer, eine Entscheidung oder Äußerungen ihrer Kirche geärgert haben, und daher ausgetreten sind. Ihm sei allerdings noch keiner begegnet, der "aus tiefen Glaubensgründen" die Kirche verlassen habe, sagt Schellenberg.
Ausgetretene nicht verloren geben
Die Kirchengemeinden geben übrigens ihre ausgetretenen Mitglieder in der Regel nicht einfach verloren. Viele bemühen sich, in Briefen zumindest die Gründe zu erfahren, ein Gespräch anzubieten, um evtl. entstandene Probleme auszuräumen.
In der der evangelischen Kirchengemeinde Bockenheim in Frankfurt sucht seit neun Jahren Dr. Berndt Crüwell den Kontakt zu den Ausgetretenen, von denen er in dieser Zeit immerhin rund 40 Prozent erreicht hat. Auch wenn die meisten die Kirchensteuer als Grund für ihren Austritt angäben, stehe dahinter doch immer eine ausgeprägte Kirchenferne. "Wenn jemand seit seiner Konfirmation nicht mehr in der Kirche war, ist der Austritt verständlich", sagt er. Der pensionierte Banker hat bisher keine Beschwerden über Amtsträger der Kirche als Austrittsargument erfahren. Bei keinem seiner Gespräche vergisst er übrigens den Hinweis: Wiedereintreten ist leichter als Austreten.
Wiedereintritt möglich
Zurück in den Schoß der Kirchen fänden die Menschen oft dann, wenn sie selbst Eltern werden, und ihre Kinder taufen lassen wollen, sagt Schellenberg. Oder sie treten nach dem Tod ihrer alten Eltern wieder ein, wenn Konfrontation mit Leiden und Sterben sie neu über ihre eigenen religiösen Gefühle nachdenken lässt. Und manch einen führt die Begleitung von Schwerkranken und Sterbenden etwa durch Pflegepersonal der Diakonie oder den örtlichen Pfarrer zum Nachdenken über die eigene Endlichkeit und letztlich zur Kirche zurück.
Generalverdacht fatal für die Seelsorge?
Mit einem Problem müssen wohl in Zukunft Pfarrer beider Kirchen umgehen lernen. "Wer wird künftig noch wagen, mit fünf oder sechs Konfirmanden alleine auf Konfirmandenfreizeit zu gehen?", sagt Oberkirchenrat Schmidt. "Kann ich noch riskieren, eine Schülerin zu beraten?", wird sich auch mancher Schulpfarrer fragen. Alle Seelsorger unter Generalverdacht zu stellen aber wäre fatal für Seelsorge und Beratung.