evangelisch.de: Am Donnerstag starben erneut vier deutsche Soldaten in Afghanistan. Wird der Bundeswehreinsatz am Hindukusch zu einem Schrecken ohne Ende, oder wäre ein Ende mit Schrecken die bessere Lösung?
Ernst Elitz: Bei einem "Ende mit Schrecken" träfe der Schrecken die Afghanen. Deshalb lässt sich das aus der deutschen Sofaecke so gemütlich sagen. Der Schrecken träfe die Frauen, die gleichberechtigt und ohne Burka-Zwang leben und arbeiten wollen. Er träfe die Mädchen und Jungen, die lernen wollen. Er träfe die Afghanen, die sich einen Zipfel Demokratie für ihr geschundenes Land erhoffen. Ihnen haben wir gemeinsam mit unseren Verbündeten, auf der Grundlage eines UNO-Mandats, ein Versprechen gegeben. Wir wollen ihnen ein Leben in Würde ermöglichen, ein Leben ohne die mörderischen Taliban. Da treffen sich die Interessen des Westens und der Bevölkerung, denn ohne eine reelle Chance auf Frieden und wirtschaftliche Entwicklung wird Afghanistan zu einem Terrornest, das für uns alle von höchster Bedrohung ist. Dann hätten wir beides: Ein Ende mit Schrecken und ein Schrecken ohne Ende. Deshalb müssen die Bundeswehr und die Verbündeten den Afghanen nachdrücklich – auch militärisch - dabei helfen, die Taliban auf Dauer kampfunfähig zu machen.
evangelisch.de: Polen trauert um Präsident Lech Kaczynski, der bei einem tragischen Flugzeugunglück in Russland starb. Nun gibt es Streit um die geplante Beisetzung neben Königen des Landes. Ist das angemessen?
Ernst Elitz: Es ist unziemlich, einer Nation einen Ratschlag zu geben, wie sie ihrer toten Staatsoberhäupter gedenken und sie zur Ruhe betten soll. Nur so viel: Mir ist nicht bekannt, dass die Oberhäupter demokratischer Staaten neben Monarchen ihre letzte Ruhe gefunden haben. Republik und Fürstengruft – das passt seit der Französischen Revolution nicht zusammen. Charles de Gaulle verfügte testamentarisch eine Beisetzung fern von Paris in Colombey-les-Deux-Églises. Auch Franz-Josef liess sich trotz absolutistischer Neigungen in Rott am Inn bestatten und nicht in der Münchner Grablege der Wittelsbacher. Bei der allgemeinen Abneigung des Preußischen käme auch kein Bundespräsident oder Kanzler auf die Idee, sich seine letzte Ruhestätte im Schlosspark von Sanssouci zu ersehnen. Aber in Polen ist alles anders. Da steht aufgrund schlimmster historischer Erfahrungen die Nation über Monarchie und Republik. Akzeptieren wir also ohne jede Besserwisserei die Entscheidung, die unsere polnischen Nachbarn treffen.
evangelisch.de: Das Stuttgarter Arbeitsgericht hat entschieden, dass die Ostdeutschen kein eigener Volksstamm sind. Warum sprechen wir 20 Jahre nach der Wende eigentlich immer noch von "Ossis" und "Wessis"?
Ernst Elitz: Manche "Ossis" legen inzwischen selber Wert darauf, sich durch diese Bezeichnung von den oberschlauen Wichtigtuern aus den westlichen Bundesländer abzugrenzen. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine herabsetzend gemeinte Bezeichnung zum Ehrentitel geadelt wird. Ich weiss mit der Kalten-Kriegs-Einteilung in Ost und West ohnehin wenig anzufangen. Rein geographisch gesehen liegt unsere Musen-Hauptstadt Weimar nicht im Osten, sondern in der Mitte des Landes. Und die Wartburg erhebt sich, gemessen am Längengrad, westlich von München an den Hängen des Thüringer Waldes. Und das bairische Passau liegt östlich von Potsdam. So gesehen, wäre Friedrich der Große ein Wessi. Nehmen wir diese Bezeichnungen also für das, was sie sind: ein kleiner volkskundlicher Schabernack.
Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete.