Richard von Weizsäcker wird 90 Jahre alt
Richard von Weizsäcker wird heute 90 Jahre alt. Von 1984 bis 1994 war er Bundespräsident und begleitete die deutsche Wiedervereinigung. In besonderer Erinnerung ist seine Rede am 8. Mai 1985.
14.04.2010
Von Jutta Wagemann

"Herr von Weizsäcker befindet sich im Ausland." Diese Auskunft ist häufig aus dem Büro Richard von Weizsäckers zu hören. Der Alt-Bundespräsident erreicht heute das Greisenalter von 90 Jahren. Wer ihn reden hört und seinen wachen Blick wahrnimmt, mag das allerdings kaum glauben. Der Elder Statesman ist nach wie vor ein gefragter Gast für internationale Konferenzen und Podiumsdiskussionen.

In Deutschland ist sein Name unverbrüchlich mit einer Rede verbunden: Zum 8. Mai 1945. Am 40. Jahrestags des Kriegsendes hielt Richard von Weizsäcker 1985 im Bundestag die Gedenkrede - und fand Worte, die sich ins kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik einbrannten. "Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft."

"Tag der Befreiung"

Bis dahin war der 8. Mai gerade in konservativen Kreisen eher als "Tag der Niederlage" betrachtet worden, der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches. Jetzt kam ausgerechnet ein Konservativer, einer, der zuvor als CDU-Politiker Karriere gemacht hatte, und deutete die Geschichte neu. Zu den NS-Verbrechen selbst "trat der Versuch allzu vieler, (...) nicht zur Kenntnis zu nehmen, was geschah." Unangenehme Wahrheiten sprach von Weizsäcker aus - und meinte auch sich selbst und seine Familie.

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Der Vater Ernst von Weizsäcker war während des Nationalsozialismus Staatssekretär im Auswärtigen Amt und wusste von den Deportationen der Juden. Zwar habe er sich gewunden, letztlich aber entscheidende Weisungen unterschrieben, berichtete jüngst der "Spiegel". Sohn Richard wurde im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess Hilfsverteidiger seines Vater, der zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde.

Verstrickungen in den Nationalsozialismus

Ein Zeitzeuge sei er, hat der Alt-Bundespräsident in seinem jüngsten, 2009 erschienenen Buch über sich geschrieben. "Unser politisches Bewusstsein beginnt schon während der Weimarer Republik." Beim Weizsäcker-Biographen Gunter Hofmann heißt es: "Familiengeschichte und deutsche Geschichte flossen bei den Weizsäckers ersichtlich zusammen." In seiner Rede zum 8. Mai habe sich das verknüpft: "Darin steckte das Geheimnis ihrer Wirkung."

Die persönliche Verstrickung in den Nationalsozialismus - Weizsäcker war Wehrmachtssoldat und beim Überfall auf Polen 1939 beteiligt - führte schon früh zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der deutschen Teilung und dem Kalten Krieg. In der Öffentlichkeit wurde Richard von Weizsäcker, der als Jurist bis dahin in der Wirtschaft gearbeitet hatte, als erstes 1962 durch eine Veröffentlichung der Wochenzeitung "Die Zeit" zur deutschen Außenpolitik wahrgenommen.

Arbeit für den Deutschen Evangelischen Kirchentag

Seit Weizsäcker 1964 zum Präsidenten des Deutschen Evangelischen Kirchentags gewählt wurde, wurde der Vater von vier Kindern zunehmend einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Nach Einschätzung des Biografen Hermann Rudolph war Weizsäcker "alles andere als ein Mann des kirchlichen Lebens". Doch der Kirchentag und seine Mitarbeit in kirchlichen Gremien prägten ihn so, dass er schließlich selbst von einem neuen "mich verwurzelnden Lebenskreis" sprach.

Die Kirchentage wurden unter Weizsäcker politischer, das Thema deutsche Teilung und Ostpolitik blieb präsent. 1965 erschien die "Ostdenkschrift" der Evangelischen Kirche in Deutschland, die einen endgültigen Verzicht der einst deutschen Gebiete im Osten zur Diskussion stellte und damit für viel Empörung sorgte. Einer der Hauptautoren: Richard von Weizsäcker.

Präsident der Wiedervereinigung

Es war wohl ein günstiger Zufall der Geschichte, dass Weizsäcker, der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Bundespräsident war, als 1989 die Mauer fiel und Deutschland ein Jahr später vereint wurde. Das politische Verdienst wird vor allem dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl zugeschrieben. Im Ausland hat die unzweifelhafte Haltung Weizsäckers zur deutschen Vergangenheit jedoch auch eine Rolle gespielt.

Die langjährige Herausgeberin der "Zeit", Marion Gräfin Dönhoff, hat einmal über Richard von Weizsäcker gesagt: "Wenn man einen idealen Bundespräsidenten synthetisch herstellen könnte, dann würde dabei kein anderer als Richard von Weizsäcker herauskommen." Der "Spiegel" würdigte Weizsäcker zu seinem Geburtstag als "stillen Revolutionär". Der so viel Beschriebene lehnt es übrigens ab, zu Lebzeiten auf einer Briefmarke verewigt zu werden. Weizsäcker im Briefmarkenformat, das ist auch nur schwer vorstellbar. 

epd

Literaturhinweise:
Hermann Rudolph: Richard von Weizsäcker. Eine Biographie. Rowohlt Berlin 2010.
Gunter Hofmann: Richard von Weizsäcker. Ein deutsches Leben. Beck München 2010.