TV-Tipp des Tages: "Meine Tochter nicht!"
Der Absturz erfolgt derart rasant, dass er wie ein böser Traum wirkt. Gerade noch war Nadja ein unbeschwertes, fröhliches junges Mädchen, kurz drauf folgt der Horror: Sie ist ein Junkie geworden, quasi über Nacht.Ungeschönt und konsequent schildert Schauspielerin Konstanze Breitebner in ihrer Geschichte, welchen Schock die Erkenntnis für die Eltern darstellt, völlig machtlos zu sein.
13.04.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Meine Tochter nicht!", Dienstag, 13. April, 20.15 Uhr in Sat.1

Bislang erzählte die Wiener Schauspielerin in ihren Drehbüchern zu seichten Reihen wie "Traumschiff" oder "Kreuzfahrt ins Glück" bevorzugt Heile-Welt-Geschichten. Gemessen daran ist "Meine Tochter nicht" der reinste Horrorfilm. Ihre Suche nach der ausgebüxten Nadja kommt für die Eltern (Lisa Martinek, Bernhard Schir) buchstäblich wie auch im übertragenen Sinne einer Reise in die Wiener Unterwelt gleich. Erstmals nehmen sie in den U-Bahnhöfen bewusst war, woran sie sonst achtlos und ignorant vorbeilaufen: die Ausgestoßenen der Gesellschaft; junge, verwahrloste Menschen, die bereit sind, für Drogen bis zum Äußersten zu gehen.

Blick auf die Donau

Selbstredend bezieht der Film seine innere Spannung aus dieser Fallhöhe. Nadjas Eltern Maria und Paul führen beide eigene Firmen, sind ziemlich wohlhabend und leben in einer Traumwohnung mit Blick auf die Donau; Nadja (Nikola Rudle) ist das perfekte Kind. Aber dann lernt sie falsche Freunde kennen und verliebt sich in den deutlich älteren Robi (Christopher Schärf), einen Junkie. Er ist zwar auf Entzug, macht jedoch keine Therapie, wird deshalb rückfällig und zieht auch Nadja mit ins Elend. Im Drogenrausch verprügelt er sie sogar, aber sie kommt trotzdem nicht von ihm los. Als Maria und Paul ihre Tochter zuhause einsperren, nimmt sie selbst Knochenbrüche in Kauf, um dem elterlichen Gefängnis zu entrinnen. Den offiziellen Stellen (repräsentiert durch Karl Fischer als hilfsbereitem Polizisten) sind die Hände gebunden: Das Mädchen ist 16, allein den Eltern obliegt das so genannte Aufenthaltsbestimmungsrecht.

Natürlich sind körperlicher und seelischer Verfall bei der jungen Nikola Rudle vor allem eine Frage von Schminke; aber auch den Zorn des Mädchens spielt sie sehr überzeugend (Regie: Wolfgang Murnberger). Das ganze Ausmaß des Absturzes aber haben Bernhard Schir und Lisa Martinek zu verkörpern, und sie tun das gleichfalls sehr glaubhaft. Der Titel bezieht sich auf einen Ausspruch Marias, die nie für möglich gehalten hätte, dass derlei in ihrer Familie passieren könnte: Drogen? Meine Tochter doch nicht!

Mitten im Alptraum

Genau darin liegt die Botschaft dieses sehr ernst gemeinten Films: Drogenabhängigkeit ist keine Frage von sozialer Disposition. Ehrlicherweise tut Breitebner in dieser deutsch-österreichischen Koproduktion auch nicht so, als könne man sich davor schützen oder als gebe es Patentrezepte. "Was haben wir falsch gemacht?", fragen sich die Eltern mitten im Alptraum. Die Antwort ist ebenso einfach wie frustrierend: nichts. Einziges Zugeständnis an die Erwartungen des Publikums ist der vorläufige Schluss; aber der Preis für das vermeintliche Happy End ist hoch.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).