Der Sarg mit den sterblichen Überresten des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski soll am Dienstag öffentlich aufgebahrt werden. Das meldete die polnische Nachrichtenagentur PAP unter Berufung auf den Präsidenten-Minister Jacek Sasin. Kaczynskis Leichnam war am Nachmittag in die Kapelle des Präsidentenpalastes in Warschau gebracht worden. Zugang dort hatten aber zunächst nur die Familie und Mitarbeiter. Über den Beisetzungstermin wollten Vertreter der Regierung und der Kanzlei des Präsidenten am Montag sprechen.
Ganz Polen trauert um Kaczynski, seine Frau Maria und weitere Spitzenpolitiker, die bei einem Flugzeugabsturz am Samstag im Westen Russlands ums Leben gekommen waren. Bis spät in die Nacht harrten Tausende vor dem Amtssitz aus, legten Blumen nieder, sangen Kirchenlieder und zündeten Grabkerzen an. Überall hingen weiß-rote Nationalflaggen. Wegen der Menschenmassen blieb die Allee vor dem Präsidentenpalast für den Verkehr gesperrt.
Tausende bei Trauergottesdienst
Auch an den Trauergottesdiensten nahmen Tausende teil. In der Warschauer Universitätskirche wurde das Requiem aufgeführt. Auch in der Synagoge in Warschau wurde der Toten gedacht. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinden in Polen, Piotr Kadlcik, sagte, auch Kaczynskis Widersacher könnten ihm nicht Unaufrichtigkeit oder Doppelzüngigkeit vorwerfen. Kaczynski hatte als erstes amtierendes Staatsoberhaupt eine Synagoge besucht.
Ganz Polen hielt am Sonntagmittag für zwei Minuten inne. Als um 12.00 Uhr die Sirenen heulten, blieben überall Menschen stehen, auf den Straßen stoppten Autos. Vor dem Parlament in Warschau würdigte Ministerpräsident Donald Tusk seinen früheren politischen Widersacher mit einem Kniefall. Die Prachtallee vor dem Präsidentenpalast im Zentrum von Warschau wurde zum Ort nationaler Besinnung. Tausende Menschen sammelten sich dort zu Gebeten. In Polen gilt eine einwöchige Staatstrauer.
Russland und Polen volllziehen Schulterschluss
Am Absturzort vollzogen Russland und Polen demonstrativ den Schulterschluss: Die Regierungschefs Tusk und Wladimir Putin legten nur wenige Kilometer entfernt von Katyn, wo auf Befehl Stalins einst Tausende polnische Offiziere getötet wurden, gemeinsam Blumen nieder.
Die russische Staatsanwaltschaft schließt eine technische Ursache für den Absturz aus. Die Maschine vom Typ Tupolew TU-154 sei in einwandfreiem Zustand gewesen, sagte Chefermittler Alexander Bastrykin am Sonntag. Vielmehr sei der Pilot mehrfach auf die schlechte Wetterlage und den Nebel hingewiesen worden und habe trotzdem mehrere Landeversuche unternommen, sagte Bastrykin. Schon zuvor hatten die russischen Flugbehörden dem Piloten «eigenmächtiges» Handeln vorgeworfen. Die Sichtweite zum Unglückszeitpunkt habe nur 400 Meter betragen, vorgeschrieben seien mindestens 1000 Meter
Wahlen am 20. Juni
Ein Nachfolger Kaczynskis soll spätestens bis zum 20. Juni gewählt werden. Ursprünglich sollten die Präsidentenwahlen im Herbst stattfinden. Der polnische Parlamentschef Bronislaw Komorowski, der gemäß der Verfassung bis zur Neuwahl die Geschäfte des verunglückten Staatsoberhauptes übernommen hat, will binnen 14 Tagen über den Termin entscheiden. Komorowski wird als Kandidat der liberalen Regierungspartei Bürgerplattform PO nach derzeitigem Stand selbst bei der Wahl antreten.
Der Absturz hatte auch international Bestürzung ausgelöst. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Ehemann Joachim Sauer trugen sich am Sonntag ins Kondolenzbuch der polnischen Botschaft ein. Sie würdigte den Präsidenten, der es mit seiner Politik Berlin oft nicht einfach gemacht hatte, als «streitbaren Europäer». Bundespräsident Horst Köhler sprach seine «tief empfundene Anteilnahme» aus: «Polen hat einen furchtbaren Verlust erlitten.» Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ordnete in Deutschland Trauerbeflaggung für den Tag der offiziellen Trauerfeier in Warschau an.
Staatstrauer auch in Russland
Russlands Präsident Dmitri Medwedew, dessen Land ein nicht immer einfaches Verhältnis zu Polen hat, ordnete für diesen Montag Staatstrauer an. US-Präsident Barack Obama nannte Kaczynski einen hervorragenden Staatsmann. "Der heutige Verlust ist verheerend für Polen, die USA und die Welt", erklärte Obama.
Unter den insgesamt 96 Opfern des Absturzes waren auch mehrere polnische Politiker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens: die Ehefrau Kaczynskis, Vize-Parlamentschef Jerzy Szmajdzinski, Vize- Außenminister Andrzej Kremer sowie viele Parlamentarier. Auch die Ikone der demokratischen Opposition, die legendäre Streikführerin von 1980 in Danzig, Anna Walentynowicz, war an Bord der Tupolew.