Angela Merkel hat eigentlich auf diesen "Quatsch" keine Lust. Von nun an wird sie sich aber einmal im Jahr fotografieren und befragen lassen für die Langzeitstudie "Spuren der Macht". Es ist 1991, die frisch gekürte Bundesfrauenministerin ist 35 Jahre alt, trägt Rollkragenpullover und blickt etwas scheu in die Kamera. "Ich habe eine gewisse Art von Beharrlichkeit und Durchsetzungsvermögen", sagt sie. Als die Foto-Studie von Herlinde Koelbl auf den Markt kommt, hat Merkel die Ära des Partei-Übervaters Helmut Kohl wegen der Affäre um illegale Spenden und verschwiegener Namen beendet. Wenig später ist sie CDU-Vorsitzende.
Der Aufstieg beginnt in Essen
Auf dem CDU-Parteitag am 10. April 2000 in Essen stimmen 95,9 Prozent dafür, dass die in Ostdeutschland aufgewachsene Tochter eines evangelischen Pfarrers die Volkspartei führt. Merkel dankt für die Unterstützung: "Ich hoffe, sie hält eine Weile an." Diese Weile dauert inzwischen zehn Jahre. Merkel ist in zweiter Amtsperiode Bundeskanzlerin. Sie hat die Union ein Stück nach links gerückt, weil das Potenzial der Stammwähler für Wahlerfolge zu gering ist. Das US-Wirtschaftsmagazin "Forbes" beschreibt sie 2006, 2007, 2008 und 2009 als mächtigste Frau der Welt.
Einen Meilenstein dahin setzt sie am 22. Dezember 1999. Mit einer schonungslosen Analyse der Folgen der CDU-Spendenaffäre fordert sie die Partei in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" auf, sich von Kohl zu emanzipieren. Er hatte eingeräumt, für die CDU 1,5 bis 2 Millionen Mark Spenden gesammelt und nicht im Rechenschaftsbericht verbucht zu haben. Die Namen der Spender nannte der Altkanzler nicht, weil er ihnen sein "Ehrenwort" darauf gegeben habe. "Kohls Mädchen" straft dies so ab: "Ein Wort zu halten und dies über Recht und Gesetz zu stellen, mag vielleicht bei einem rechtmäßigen Vorgang noch verstanden werden, nicht aber bei einem rechtswidrigen Vorgang." Die Partei müsse sich zutrauen, auch ohne ihr Schlachtross Helmut Kohl zu kämpfen.
Merkel ist nicht zu unterschätzen
Kohl hat die Spender bis heute nicht genannt und Merkel wohl nicht verziehen. Zu seinem 80. Geburtstag am vergangenen Samstag würdigt ihn die Kanzlerin als "großen Staatsmann". Am 5. Mai wird sie bei einer Feier zu seinen Ehren in Ludwigshafen sein. Zurücknehmen von ihrer damaligen Kritik wird sie vermutlich nichts. Mit dem Artikel provozierte Merkel einen Neuanfang, der auch den damaligen Parteivorsitzenden Wolfgang Schäuble traf.
CSU-Chef Horst Seehofer sagt über Merkel: "Wer sie unterschätzt, hat schon verloren." Die Reihe der Verlierer ist lang. Hinter sich gelassen hat sie auch den früheren CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber, dem sie 2002 nach einiger Überwindung den Vortritt bei der Kanzlerkandidatur ließ, und dann sein Scheitern miterlebte.
Der Start als Parteichefin war steinig. Nach dem Misserfolg der Union bei der Bundestagswahl 2002 reklamiert Merkel den Fraktionsvorsitz im Parlament für sich. Trotz Gegenwehr war Amtsinhaber Friedrich Merz seinen Posten los. Beim Bundesparteitag 2003 in Leipzig vollzieht die CDU unter Merkel einen radikalen Kurswechsel: So fordert sie, die Krankenversicherung auf ein einkommensunabhängiges Prämienmodell umzustellen.
Kritik am Führungskurs weist Merkel zurück
Als Merkel Gerhard Schröder 2005 im Kanzleramt ablöst, ist der Sieg mit einer schweren Niederlage verknüpft: Die Union fährt mit 35,2 Prozent ein bis dahin historisch schlechtes Wahlergebnis ein und ist zum Regieren auf eine große Koalition mit der SPD angewiesen. Den Kurs von Leipzig hat Merkel inzwischen lange verlassen. Bis heute wollen sich nicht alle in der Union so richtig damit anfreunden.
Manche in der CDU halten ihr vor, sie vernachlässige den konservativen Flügel. Merkel betont, sie sei Hüterin aller Wurzeln der Partei. Immer wieder wird ihr Führungsschwäche vorgehalten, weil sie lange schweigt. Zu ihren Erfahrungen zähle aber die "Erledigung der Angelegenheit durch Erschöpfung des anderen", sagen Wegbegleiter. Merkel selbst sagt in der "Zeit": "Wenn ich bei zehn Themen von Beginn an die Lösung vorgeben würde, hätte ich weder unsere demokratische Ordnung noch das Wesen der CDU verstanden."
Kaum Gegenwind von Ministerpräsidenten
Von der Riege der CDU-Ministerpräsidenten bekommt sie - im Gegensatz zu früher - kaum noch Gegenwind. Die Regierungschefs brauchen die Frau an der Spitze und umgekehrt. Merkel blickt nun gespannt auf die Wahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai, die auch für die CDU im Bund große Bedeutung hat. Obwohl die von ihr ersehnte Koalition von Union und FDP regiert, läuft es innenpolitisch nicht rund. Schwarz-Gelb hat keine Mehrheit in Umfragen.
Merkel ist 55 Jahre alt. Die Macht ging nicht spurlos an ihr vorüber. Wenn sie Glück hat, kann sie einmal in der Woche länger schlafen und die "weltbeste Kartoffelsuppe" kochen. Was kommt nach der Kanzlerschaft? Manche in der Union tippen auf ein internationales Amt, andere auf den Rückzug ins Private. "Ich möchte irgendwann den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Politik finden", sagte Merkel 1998. "Ich will dann kein halbtotes Wrack sein, sondern mir nach einer Phase der Langeweile etwas anderes einfallen lassen."