"Der Höhepunkt ist nah" – Richtungskampf in Thailand
Richtungsentscheidung in Thailand. Opposition und Monarchisten liefern sich einen erbitterten Machtkampf. Sogar ein Bürgerkrieg in dem beliebten Urlaubsland scheint möglich.
09.04.2010
Von Robert Spring

Mit dieser düsteren Prognose schloss die thailändische Tageszeitung "The Nation" ihre "Der Freitag als Schicksalstag" überschriebene Analyse der explosiven politischen Lage in Thailand. Thailands Regierung hat 33.000 Polizisten und Soldaten in Bangkok gegen die Demonstranten der "Rothemden", die Anhänger des 2006 vom Militär gestürzten Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra, in Stellung gebracht und Haftbefehle gegen die Führer der Oppositionsbewegung erlassen. Die "Rothemden" ihrerseits stürmten ihren in dieser Woche von der Regierung abgeschalteten Fernsehsender ThaiCom. Die Frage lautet: wird Ministerpräsident Abhisit Vejjajiva mit Gewalt die Demonstrationen beenden?

Seit drei Wochen lähmen die "Rothemden" mit ihren Demonstrationen die thailändische Hauptstadt. Ihr Ziel: Neuwahlen und die Wiedereinführung der Verfassung von 1997, die als die demokratischste aller 18 Verfassungen galt, die Thailand sich seit der Einführung der parlamentarischen/konstitutionellen Monarchie 1932 gegeben hatte.

Angst vor den "Gelbhemden"

Ministerpräsident Abhisit kann diese Forderungen kaum erfüllen. Gäbe Abhisit den "Rothemden" auch nur Ansatzweise nach, würde das unweigerlich die "Gelbhemden" auf den Plan rufen. Wozu diese vom Militär und dem thailändischen Establishment gestützte außerparlamentarische Opposition fähig ist, hat sie 2008 unter Beweis gestellt: erst besetzten die "Gelbhemden" monatelang den Amtssitz des Ministerpräsidenten, dann legten sie im November für acht Tage Bangkoks internationalen Flughafen lahm. Mit Erfolg. Militär und Polizei griffen nicht ein. Damit war die Regierung von Ministerpräsident Somchai Wongsawat, einem Schwager Thaksins, am Ende.

Die Proteste der "Rothemden" in Pattaya und Bangkok während des Songkran, dem thailändischen Neujahrsfest, vor einem Jahr wiederum endeten mit gewaltsamen Straßenschlachten in Bangkok. Trotz der Beteuerung der "Rothemden", friedlich demonstrieren zu wollen, ist es auch in diesem Jahr wieder zu Exzessen gekommen auf die der Staat seinerseits mit der Androhung von Gewalt reagiert: nach der Stürmung des Parlaments am Mittwoch dieser Woche verhängte Ministerpräsident Abhisit über Bangkok den Ausnahmezustand.

Worum geht es eigentlich?

Um was geht es bei dem thailändischen Politdrama, das dem Land das Lächeln vertreibt? Mit einigem Recht sehen die Anhänger des gestürzten Thaksin die amtierende Regierung als nicht legitim an. Abhisit und seine Demokratische Partei waren im Dezember 2008 mit der Unterstützung des Militär, des Palastes und der alten Eliten an die Macht gekommen, nachdem ein Gericht in der Folge der Flughafenbesetzung der "Gelbhemden" in einer eiligst vorgezogenen Verhandlung die damalige thaksinnahe Regierungspartei auflöste und dem damaligen Ministerpräsidenten Somchai sowie einer Reihe anderer hochrangiger Parteifunktionäre der Thaksin-Partei für fünf Jahre von der Kandidatur für politische Ämter in Parteien und Regierungen ausschloss.

Die Regierung von Somchai und seines Vorgängers Samak aber war im Dezember 2007 aus den ersten freien Wahlen nach dem Putsch gegen Thaksin im September 2006 hervorgegangen. Mit anderen Worten: die Putschkoalition aus Militär, Royalisten und der alten Elite hatte ihr Ziel verfehlt, den "Thaksinismus" zu beenden. Das Volk stand zu Thaksin und der von ihm finanzierten Partei. So wie es zuvor zweimal mit großer Mehrheit Thaksin und seine Partei gewählt hatten. Damit hatte Thaksin gleich zwei historische Marker in Thailands Geschichte gesetzt: nie zuvor war einem Ministerpräsidenten eine komplette Amtszeit vergönnt und nie zuvor ist ein Ministerpräsident wiedergewählt worden.

Vorwurf der Korruption

Thaksin ist jedoch nicht unumstritten. Der milliardenschwere ehemalige IT-Unternehmer hat selbstherrlich regiert, Gesetze und Verfassung nach Gutdünken ausgelegt und sich offenbar auch bereichert. Ein Gericht in Bangkok befand den flüchtigen Thaksin im Februar dieses Jahres der Korruption für schuldig und konfiszierte die Hälfte seines Vermögens in Höhe von umgerechnet mehr als einer Milliarde Euro. Aber Thaksin hat ein politisches Erbe hinterlassen, das, wie sich Thailands prominentester Politanalytiker Thitinan Pongsudhirak ausdrückt, Thailand politisch "ins 21. Jahrhundert" katapultierte: er hat sich auf die Landbevölkerung gestützt, die bis zur Ära Thaksin von der Teilhabe an den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entscheidungen in Bangkok faktisch ausgeschlossen war.

Thaksin verbesserte durch eine kluge Sozialpolitik der benachteiligten Massen außerhalb Bangkoks nicht nur das Leben der Landbevölkerung, sondern gab ihr politisches Gewicht. Und genau um letzteres geht es in dem Politdrama: die Bauern, weite Teile des Mittelstands und die Armen wollen sich ihre gerade erst gewonnene politische Stimme nicht mehr nehmen lassen. Damit befindet sich Thailand in einem veritablen Kampf um die Macht im Lande und weil beide Seiten auf ihren Maximalpositionen beharren ist die in Thailands Medien immer wieder beschworene Gefahr eines Bürgerkriegs real.

Demokratie abschaffen?

Die "Gelbhemden" wollen die Demokratie weitgehend abschaffen. Weil sie erklärtermaßen das Volk als "zu dumm zum wählen" ansehen, wollen sie ein Parlament, dessen Abgeordnete zu einem großen Teil ernannt statt gewählt werden sollen. Kritiker ihrer Politik werde als "Antimonarchisten" diffamiert und auf Grundlage der Gesetze der Majestätsbeleidigung verfolgt. Politiker werden wegen "Lèse-Majesté" angezeigt, Journalisten mundtot gemacht und regierungskritische Webseiten abgeschaltet.

Mit ihrer antidemokratischen Haltung aber haben die "Gelbhemden" eine Debatte entfacht, die sie eigentlich vermeiden wollen: soll Thailand eine Monarchie bleiben und wenn ja, was für eine? Oder hat eine Republik auch ihre Vorzüge? Diese Debatte aber darf in Thailand nicht öffentlich stattfinden. Auch kann die Frage nicht öffentlich erörtert werden, was mit Thailand geschieht, wenn der seit 64 Jahren regierende und inzwischen erkrankte 82 Jahre alte König Bhumibol Adulyadej stirbt. Wer das tut – ob Thailänder oder Ausländer - dem droht die Verhaftung wegen Majestätsbeleidigung. Als das internationale Wirtschaftsmagazin "The Economist" im Februar in einer Titelgeschichte "As father fades, his children fight" mutig die Frage stellte "Was und wer kommt nach König Bhumipol?", durfte die Ausgabe in Thailand nicht erscheinen.

Die nächsten 24 Stunden, so "The Nation", werden das Schicksal der Regierung Abhisit besiegeln. Entweder der in Oxford ausgebildete Abhisit schafft es, durch Härte oder politische Finesse die Krise zu meistern. Oder die Regierung erweist sich trotz Ausnahmezustand als machtlos. Dann wird könnte weiteres Mal das Militär die Sache in die Hand nehmen. Dieser Freitag ist Thailands Schicksalstag.


Robert Spring ist freier Journalist.