evangelisch.de: Die US-Regierung hat ihre neue Atomwaffenstrategie vorgestellt: keine neuen Sprengköpfe, keine Atomtests. Verdient sich US-Präsident Obama nun nachträglich seinen Friedensnobelpreis?
Ernst Elitz: Er hat die Hoffnungen, die das Nobelpreis-Komiteé und viele andere in ihn gesetzt haben, erfüllt. Mit seiner neuen Kernwaffenstrategie ist es Obama zudem gelungen, ein Stück weltpolitischer Führungskraft für die USA zurück zu gewinnen. Für die Generation, die das Glück hatte, im vereinten Deutschland aufzuwachsen, ist heute nicht gar nicht mehr vorstellbar, dass sich bis zum Mauerfall zwei mit weitreichenden – strategischen - Atomwaffen hochgerüstete Blöcke gegenüberstanden. Dieses Waffenpotential hätte ausgereicht, um den Globus gleich ein paar Dutzend mal zu vernichten. Obama setzt jetzt die Abrüstungsbemühungen fort, die Gorbatschow und Ronald Reagan in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre mit ihrem START-Abkommen begonnen haben – und er macht es mit Elan. In der Zeit des Kalten Krieges hatten die Amerikaner ihren sowjetischen Gegner tot gerüstet. Die immensen Ausgaben für die Rüstung ließen die Wirtschaft in Russland und den Satellitenstaaten ausbluten. So war der Kreml kraftlos, als sich die Freiheitsbewegungen in den osteuropäischen Ländern und der DDR gegen die russische Bevormundung aufbäumten. Es klingt zynisch, aber die Hochrüstung war eine der Quellen der neuen Freiheit. Angesichts der Bedrohungen durch den Terrorismus und durch hochgefährliche Staaten wie Nordkorea und den Iran, wächst in der Welt jetzt ein neues Bewusstsein für eine Zukunft ohne Massenvernichtungswaffen. Obama hat sich an die Spitze gestellt. Das nützt ihm – und so hoffe ich – auch dem ganzen Globus.
evangelisch.de: Die Subventionen für die Landwirtschaft gehen in die Milliarden, RTL sucht heiratswillige Frauen für Bauern und Gesundheitsminister Rösler will die Gattung Landarzt peppeln. Hängt die Provinz komplett am Tropf?
Ernst Elitz: Ein Drittel der Deutschen lebt jenseits der großen Städte. Regelmäßiger Busverkehr, der sich an den Mobilitätswünschen der Bürger orientiert, wäre wichtiger als der Bau neuer Autobahnen. Kommunikationskonzerne behandeln das platte Land wie eine Strafkolonie. Schnelle Internetanschlüsse verlegen sie in die Städte. Gefördert wird das Gewerbegebiet mit seinen riesigen Supermärkten, nicht der Tante Emma Laden im Dorf. Als Freizeitangebot bleibt für die Jugend das Besäufnis an der Tanke. Es wäre ja schön, wenn die Provinz am Tropf hinge, aber man überlässt sie sich selbst. Ich wundere mich, mit welchem Gleichmut die Betroffenen das hinnehmen. Deutschland ist zweigeteilt, in aufgepumpte Stadt- und vernachlässigte Landregionen.
evangelisch.de: Der FC Bayern hat es dem Milliardenclub Manchester gezeigt. Sind wir nun auch im Vereinsfußball wieder wer?
Ernst Elitz: Hier ist ein Geständnis fällig. Ich treibe zwar Sport, aber ich interessiere mich nicht für das Sportvarieté im Fernsehen. Menschen mit grobgestrickten Fan-Schals sind mir so fremd wie Wesen von einem anderen Stern. Ich habe zur Sat 1-Fußballzeit eine hochinteressante ARD-Dokumentation über Richard von Weizsäcker angeschaut. Aber den Kommentar meiner Frau nach der "Tagesthemen"-Meldung über den Spielausgang kann ich Ihnen übermitteln: "Ist ja schön, dass die Bayern gewonnen haben, aber lieber wäre mir, sie wären weniger arrogant."
Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete.