Jesuszeichnung: Satire darf nicht alles!
Das aktuelle Cover der "Titanic" sorgt bei Christen für Empörung. Tatsächlich verletzt die Zeichnung religiöse Gefühle. Satire darf das. Sie muss es aber nicht mutwillig tun.
08.04.2010
Von Henrik Schmitz

Das aktuelle Cover der "Titanic" zeigt einen Priester, der an der Lendengegend des am Kreuz hängenden Jesus Christus hantiert. Über 100 Beschwerden von Menschen, die durch die Zeichnung ihre religiösen Gefühle verletzt sehen, gingen beim Presserat ein. Die Frage, ob Satire alles darf, stellt sich erneut.
Um es kurz zu machen. Satire darf natürlich nicht alles. Als Meinungsäußerung ist sie nach Artikel 5 des Grundgesetzes zwar weitgehend geschützt, hat ihre Grenzen aber unter anderem im Persönlichkeitsrecht. Was das "Titanic"-Cover angeht, sind solche Rechtsverletzungen allerdings nicht zu erkennen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Missbrauchsdebatte dürfte wohl kaum ein Richter in der Zeichnung eine juristische Grenzüberschreitung erkennen. Aber darum geht es auch nicht. Denn ob Satire alles darf, ist weniger eine juristische, denn eine ethische Frage.

Eine Frage, die nur schwer zu beantworten ist, weil sie tief in den Bereich der Empfindungen und Gefühle hineinreicht und kaum argumentativ zu fassen ist. Wann jemand seine Gefühle verletzt sieht, ist sehr individuell. Und kaum zu klären ist, ob jemand "zu Recht" verletzt ist, weil jeweils andere Wert- und Moralvorstellungen zum Tragen kommen. Der eine stützt sich eher auf die Bibel, der andere bevorzugt das Grundgesetz.

Die Hände der Gläubigen

In der Debatte um das "Titanic"-Cover kommen Argumente zum Tragen, die bereits beim Streit über die Karikaturen über den Propheten Mohammed in der dänischen Zeitung "Jyllands Posten" 2005 eine Rolle spielten. Der Philosoph Paolo Flores d'Arcais argumentierte damals, die Grenzen der Meinungsfreiheit dürften nicht durch die religiösen Gefühle einer sich als verletzt bekennenden gesellschaftlichen Gruppe definiert werden. "Wenn man es zum Prinzip macht, dass kein religiöser Glaube verletzt werden darf, dann werden die Schlüssel dieser Freiheit in die Hände des Gläubigen und seiner Empfindlichkeit gelegt. Mit der offensichtlichen und paradoxen Folge, dass die Grenzen der Meinungsfreiheit umso enger werden, je stärker sich diese Empfindlichkeit - die bis zum Fanatismus gehen kann – äußert", schrieb er damals. Und fügte hinzu: "Wenn die Empfindlichkeit gegenüber Beleidigungen zum Kriterium würde, um die Meinungsfreiheit zu begrenzen, dann wäre jedermann ermutigt, seine Allmachtsfantasien auszuleben und sein natürliches Unbehagen an Kritik zum Ressentiment, zur Wut und schließlich zum Fanatismus zu steigern."

Eine Argumentation, der man sich nur sehr schwer entziehen kann. Tatsächlich wäre es unangebracht, beispielsweise die Gesetze so zu ändern, dass Religion von Satire ausgenommen werden muss. Religion ist einfach zu wichtig, als dass sie nicht auch kritisiert werden dürfte – und sei es in der Form der Satire. Die Trennung von Kirche und Staat ist eine Errungenschaft, die nicht allein den Einfluss der Kirche im Staat begrenzt, sondern umgekehrt eben auch die Kirche vor dem Einfluss des Staates schützt. Dies bedeutet aber auch, dass für Religion und Kirche in Sachen Meinungsäußerung keine Sonderregeln gelten dürfen. Jedenfalls keine, die über die bereits bestehenden Regeln wie etwa das Verbot der Beschimpfung einer Religionsgemeinschaft hinausgehen.

Staatliche Gerichtsbarkeit

Der Presserat aber, der sich nun mit dem "Titanic"-Cover befasst, ist keine staatliche Gerichtsbarkeit. Er ist eine Ethikkommission und hat somit andere Wertmaßstäbe. Eine Rüge durch den Presserat hat nichts mir Zensur zutun, auch die Meinungsfreiheit wird durch eine Rüge nicht eingeschränkt, da ein Veröffentlichungsverbot mit ihr nicht einhergeht. Aus ethischer Sicht ist das "Titanic"-Cover wie Religionssatire allgemein durchaus problematisch. Natürlich gibt es Christen, die sich durch das Cover verletzt sehen. Ein Priester beim angedeuteten Oralverkehr mit einem am Kreuz hängenden Jesus Christus? Die Verballhornung eines solchen Symbols ist mindestens grenzwertig, der Presserat wird entscheiden müssen, ob sie auch grenzüberschreitend ist.

Wer aber die Zeichnung mit dem Hinweis auf die Meinungsfreiheit verteidigt, sollte sich zumindest auch die Frage stellen, welcher Verlust an Freiheit damit einhergeht, wenn - tolerant! - darauf verzichtet würde, Jesus Christus oder katholische Priester derart zu karikieren. Wer solche Zeichnungen veröffentlicht, muss sich bewusst sein, dass er damit Menschen bis ins Mark treffen kann. Dazu hat er das Recht. Aber auch das Recht, darauf zu verzichten. Etwas mehr Rücksicht mit religiösen Gefühlen egal welcher Natur wäre manchmal bei allem Sinn für Humor durchaus auch ein Gewinn.


Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Medien und Kultur