"Auge in Auge", Donnerstag, 8. April, 23.15 Uhr im WDR
Es gibt eine kaum überschaubare Vielzahl von Büchern über die Geschichte des deutschen Films: kluge Erkenntnisse, illustriert mit Dutzenden von Fotografien, die aber zwangsläufig gefrorene Emotionen zeigen. Eine Dokumentation über das deutsche Kino mit bewegten Bildern war lange überfällig. Naturgemäß stellt sich bei solchen Werken zwangsläufig die Frage, wie man die enorme Liste an Klassikern auf ein vernünftiges Maß reduziert. Michael Althen, Filmkritiker der Frankfurter Allgemeinen, und Hans Helmut Prinzler, Direktor der Abteilung Film- und Medienkunst der Akademie der Künste, hatten eine ebenso einfache wie geniale Idee: Sie überließen die Auswahl zehn der derzeit prominentesten deutschen Filmschaffenden.
Neben Regisseuren wie Wim Wenders, Tom Tykwer, Dominik Graf oder Doris Dörrie finden sich auch Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, Kameramann Michael Ballhaus und Schauspieler Hanns Zischler. Sie alle durften sich einen Film aussuchen und beschreiben, warum die jeweilige Produktion ihrer Meinung nach zu den größten Werken deutscher Kinokunst gehört. Das tun sie mit dem zu erwartenden Sachverstand, aber auch mit viel Hingabe und durchaus subjektiv. Tom Tykwer zum Beispiel schildert, wie er als Junge lange unter Alpträumen litt, nachdem er F.W. Murnaus Vampir-Klassiker „Nosferatu“ im Fernsehen gesehen hatte. Entsprechende Ausschnitte illustrieren die Ausführungen, wobei einzelne Szenen zum Teil regelrecht seziert werden.
Fassbinder und Kluge
Dankenswerterweise beschränken sich Althen und Prinzler aber nicht auf die Klassiker wie Fritz Langs "M – Eine Stadt sucht einen Mörder" (Wenders), Fassbinders "Die Ehe der Maria Braun" (Ballhaus, der hier auch die Kamera geführt hat), Helmut Käutners "Unter den Brücken" (Christian Petzold) oder Alexander Kluges "Abschied von gestern" (Zischler). Insgesamt werden Ausschnitte aus über 250 Filmen gezeigt, manche aber nur wenige Sekunden lang und munter hintereinandergeschnitten. Diese amüsanten kleinen Kompilationen umfassen unter anderem Kussszenen, Blicke (männlich wie weiblich), Schreie, Telefonate und Bilder vom Rauchen. Kommentiert werden die Zwischenspiele wie auch Prolog und Epilog von Althen selbst, der das richtig gut macht; der Kommentar ist ohnehin alles andere als weihevoll und konterkariert das ehrenvolle Unterfangen mit einer ordentlichen Portion Ironie.
Davon abgesehen aber ist "Auge in Auge" eine Hommage, aus der vor allem die Liebe zum Kino spricht. Und noch eins wird deutlich: Filmgeschichte ist nicht nur Zeitgeschichte; beim Wiedersehen mit den Klassikern zeigt sich, wie sehr sie ganz wesentlicher Bestandteil der eigenen Biografie sind.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).