Wohnen mit Blick auf den Sonnenuntergang
Die Route der Wohnkultur im Rahmen der Kulturhauptstadt führt durch den Wohnalltag der Menschen: Durch klassische Industriegeschichte und moderne Architektenhäuser. Durch Arbeitersiedlungen und Wohnparks. Durch wieder neu entdeckte und aus der Mode gekommene Wohnformen. 58 Orte sollen zeigen, wie das Ruhrgebiet wohnt. Und wer Glück hat, kann auch einen Blick in die Privatsphäre der Bewohner erhaschen.
07.04.2010
Von Maike Freund

Am Rande der Innenstadt, ganz im Westen, zwischen Bahngleisen und ehemaliger Zeche, zwischen Industriebauten und neu angelegtem Park auf früherer Eisenhütte steht das Haus von Harry Lausch. Lausch verwirklichte sich einen Traum. Denn hier, im Leierweg, am Tremoniapark in Dortmund, kann er seinen Blick schweifen lassen, schaut er auf Grün und nicht in des Nachbars Schlafzimmer. Und was ihm noch wichtiger ist: Lässt es das Wetter zu, kann er vom Garten aus den Sonnenuntergang sehen.

Eigentlich wollte hier niemand wohnen. Früher war nahe dem Gelände eine Mülldeponie, außerdem wurde hier Kohle gefördert. Das Gelände verfiel und wurde eine Gegend, in der viele Obdachlose Unterschlupf fanden. Eine Gegend, die eher zum wegziehen verlockt, denn zum Neubauen. Dann entstanden auf der ehemaligen Industriebrache neue Wohnungen. Und dort, am Rande, mit einem Stahlwerk zum Nachbarn, hat der 52-jährige Stadtplaner Harry Lausch sein Haus gebaut. Auch Fotografin Cornelia Suhan wohnt hier. Ihr Haus ist individuell. Knall-blau und rund. Direkt an ihrer Gartenmauer, das Führerhäuschen auf Augenhöhe, fährt ein Regionalexpress entlang. Ihr gefällt´s. Sie wohnt hier, weil sie die Freiheit genießt.

So wohnt das Ruhrgebiet

Der Tremonia-Wohnpark und mit ihm die Häuser von Lausch und Suhan gehören zur Route der Wohnkultur. Im Rahmen der Kulturhauptstadt gibt es verschiedene Führungen rund um das Thema Wohnalltag der Menschen im Ruhrgebiet. 58 Orte sollen zeigen, wie das Ruhrgebiet wohnt. Ab August gibt es dann auch die Möglichkeit, Wohnungen von innen zu besichtigen und mit den Bewohnern ins Gespräch zu kommen. Wer will, kann die Wohnkultur auf eigene Faust erkunden. Oder aber mit Hilfe einer der geführten Touren oder Spaziergänge durch Dortmund, Essen oder Duisburg. Sie führen durch Bekanntes und Besonderes, Modernes und Historisches. Zeigen klassische Industriegeschichte, zeigen Zechensiedlungen, Villen und Wohnparks. Wieder neu entdeckte Wohngegenden und aus der Mode gekommene Wohnformen. Es ist eine Reise durch die Zeit.

In Reih und Glied, mit hellgelber Fassade und roten Ziegeln, eingerahmt von ordentlichen Hecken, stehen die 396 Häuschen in der ehemaligen Bergarbeitersiedlung Fürst Hardenberg. Wer einen Blick durch einen der Torbögen erhascht, schaut auf akkurat gepflegte Gärten, manchmal einen Gartenzwerg, dahinter erheben sich Schornsteine und Hafenbauten. Erbaut wurde die Siedlung zwischen 1923 und 1929. Damals brauchte man schnell neuen Wohnraum für die Arbeiter der nahe gelegenen Zeche. Und so entstand die Siedlung im Gartenbaustil. Nur nicht ganz so schön, wie das Essener Vorbild Margarethenhöhe (auch ein Ort auf der Route der Wohnkultur). Heute wohnt hier Holger Rietz.

Wohnungen der Bergarbeiter

In der Siedlung im Norden Dortmunds, kennt jeder jeden. Viele der Bewohner sind noch Bergarbeiter. Und auch ihre Kinder und Enkelkinder leben noch hier. Rietz´ Häuschen: knapp 90 Quadratmeter. Das ist noch viel, denn der Wohnstandart lag damals eher bei 40, 45 Quadratmetern, erklärt Karl-Heinz Petzinka, Architekt und Professor für Entwurf- und Gebäudetechnologie in Düsseldorf, einer der künstlerischen Direktoren der Kulturhauptstadt und Vorsitzender des Wohnkonzerns THS, der die Wohnungen heute gehören.

Es gibt nicht nur Schönes, nicht nur Idyllisches auf den Touren zu sehen. Petzinka nennt die Auswahl, die heimlich mit der großen Schwester, der Route der Industriekultur, flirtet, „strittig und ehrlich“. Weil sie Beispiele aus allen Wohnkulturen des Ruhrgebiets zeige. Auch nach dem Kulturstadt-Jahr soll es die Route weiterhin geben. Schon jetzt gibt es Besucher aus ganz Deutschland.

Hochhäuser im Wohnpark

Hochhäuser in einem Wohnpark. 1.200 Wohnungen, 6.000 Bewohner, vier bis 14 Geschosse. Rot oder gelb gestrichene Balkone. Keine Individualität, alles ist gleich. Dafür: viel Beton. Das Quartier Hustadt in Bochum-Querenburg, ein typischer Großsiedlungsbau. Hier ist das Wohnen ganz anders. Gebaut in den 70er Jahren, waren die Wohnungen in der Hustadt neuster Standart: große, gleichberechtigte Räume, belüftete Bäder, Balkon oder Terrasse.

Damals lebten hier vor allem Professoren und Angestellte der nahen Uni. Die leben jedoch schon lange nicht mehr hier, das Bild hat sich gewandelt. Vor allem Flüchtlingsfamilien wohnen heute hier – 50 verschiedene Nationen – und viele Studenten, die nach wie vor die Nähe zur Uni reizt oder die geringen Mietkosten. Hustadt ist aus der Mode gekommen. Das Modell Großsiedlung nicht mehr gefragt. Aus der obersten Etage kann man bis zu den Opelwerken schauen. Oder in ein benachbartes Haus. Auch das ist Wohnalltag im Ruhrgebiet.


Mehr Informationen gibt es unter www.routederwohnkultur.de


Maike Freund ist freie Journalistin und lebt in Dortmund.