Arm bleibt dumm - Teufelskreis in der Bildung
Wer seine Kinder in Kambodscha zur Schule schicken will, muss über viel Geld verfügen. Denn da die Lehrer schlecht bezahlt werden, läuft vieles nur gegen eine Art Extra-Honorar. Und dafür haben gerade ärmere Familien nicht genug Geld.
07.04.2010
Von Von Christiane Oelrich

Sor Aun (35) sitzt in ihrer armseligen Bambushütte mit drei Kindern auf dem Boden, sie rückt ihr zerschlissenes T-Shirt zurecht. Die Kambodschanerin strahlt, wenn sie von ihrer Tochter erzählt: "Sina ist elf und superclever", sagt sie. "Sie bringt es bestimmt zu etwas, sie will Ärztin werden." Sor Aun träumt vom besseren Leben für ihre Tochter - ein frommer Wunsch.

Clever hin oder her, wer den Lehrern nicht ständig Geld zustecken kann, hat schlechte Karten. "Sie verlangen 500 Riel am Tag, für 'Extra-Stunden'", sagt Sor Aun. Das sind zehn Cent. Bei fünf Kindern kann sie sich das nicht leisten. Ihr Mann fährt Fahrrad-Rikscha und bringt nicht mal genug Geld für das Essen nach Hause. Die Familie lebt am Slum-Ende von Chbar Ampeu in der Hauptstadt Phnom Penh, auf zehn Quadratmetern. Der kranke Opa ist auch noch dabei. Es gibt kein fließendes Wasser, kein Klo, Strom nur sporadisch. Die Familie streckt sich zum Schlafen auf dem Bambusboden aus. Zwei Zahnbürsten für alle stecken in der Seitenwand der Hütte. Sor Auns "Küche" ist in einem Plastikkorb: ein paar Teller, ein paar Löffel, ein Topf.

"Wir haben Bescheid gesagt, dass wir das Geld nicht haben. Jetzt brauchen wir nicht mehr zu zahlen", sagt sie. "Aber jetzt kommt meine Tochter in der Schule kaum noch dran." Ihre Noten sind abgesackt. Sie traut sich nicht, sich zu beschweren.

Arme werden rausgemobbt

"Die richtig Armen werden in der Grundschule rausgemobbt", sagt ein gut situierter Vater, der für seine drei Kinder jeden Tag drei Euro für "Extra-Stunden" zahlt. "Wer nicht zahlt wird abgestempelt." Seine Tochter Yos Sovanrotey (14) weiß von mindestens 40 der 50 Kinder in ihrer Klasse, dass sie jeden Tag bezahlen. Sie ist gut in der Schule. Sie will Geschäftsfrau werden.

Die Lehrer sind in einer Zwickmühle. Sie verdienen kaum mehr als 30 Euro im Monat. Davon kann niemand leben. "Oft ist das Geld für Essen und Snacks, die die Lehrer mitbringen", schreibt die Hilfsorganisation "Education Partnership" in einer Analyse. "Die Kinder müssen das kaufen, um das Lehrergehalt aufzubessern." Rund 20 Cent pro Tag pro Kind seien üblich. Eine 13-Jährige erzählt, dass ihr Lehrer von den Schülern im Fach "Haushalten" Seife, Stoffe, Zahnpasta verlangt. "Wer das meiste bringt, bekommt die beste Note", sagt sie.

Dann gibt es die "Extrastunden". "Das ist oft einfach eine Fortsetzung des Schulunterrichts - wer nicht teilnimmt, verpasst den Stoff", schreibt die Hilfsorganisation. 25 Euro im Jahr sind dafür im Schnitt pro Kind fällig - für viele Familien so viel wie ein Monatseinkommen. In höheren Schulklassen summiert sich das schnell auf 150 Euro pro Kind im Jahr - für Sor Aun wäre das unbezahlbar.

Kampf für mehr Lohn

Die Lehrerin Ean Mom (54) arbeitet an einer Vorzeigeschule mitten in Phnom Penh, sie steht direkt neben dem Lehrerseminar. An dieser Schule, sagt sie im Beisein des Direktors, sind Nebeneinnahmen strikt verboten. Gehört hat sie es schon, dass Lehrer anderswo Geld einsammeln. "Ist doch nicht schlecht, wenn die Eltern die Lehrer unterstützen können", sagt sie vorsichtig. Als der Direktor geht, seufzt sie und meint: "Lehrer müssten dringend besser bezahlt werden."

Einer, der für faire Lehrergehälter kämpft ist Rong Chun (45). Er hat einen unabhängigen Lehrerverband gegründet - ein rotes Tuch für die postkommunistische Regierung. Rong hat schon fast drei Monate im Gefängnis verbracht, weil er Flugblätter verteilte und "Unruhe schürte", wie es hieß. "Die Situation wird immer schlimmer, vor allem in den Städten", sagt er. "Die Kinder aus armen Familien fallen aus dem Bildungssystem. Ohne Ausbildung bekommen sie keine Arbeit, ein Teufelskreis. Der Graben zwischen Arm und Reich wird immer größer." Die Regierung arbeitet nach eigenen Angaben an einer Anhebung der Löhne, doch passiert bislang wenig.

Rong Chun will die 80.000 Lehrer im Land mobilisieren. Rund 10.000 sind schon Mitglieder. "Wir brauchen 200 Euro Lohn im Monat", sagt er. Er argwöhnt, dass der Regierung ein gutes Bildungssystem gar nicht am Herzen liegt. "Es ist einfacher, Leute zu kontrollieren, die weder Lesen noch schreiben können", meint er. Auch unterstützen nicht alle Lehrer seinen Vorstoß. Gewiefte Lehrer in höheren Klassen können durch "Extrastunden" 200 Euro in der Woche verdienen.

dpa