Kritik an Ausrüstung der Bundeswehr auch von innen
In der Diskussion über Ausrüstungs- und Ausbildungsmängel der Soldaten in Afghanistan hat der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe (SPD) nachgelegt und der Bundeswehrführung Unkenntnis vorgeworfen. Er habe den Eindruck, "dass die Realitäten wie jetzt in Kundus zu wenig von der militärischen Führung wahrgenommen werden", beklagte der scheidende Beauftragte des Bundestages in der "Saarbrücker Zeitung".

Robbe bekräftigte seine bereits zuvor geäußerte Kritik, es sei "absolut nicht zu akzeptieren", wenn Ausbildung erst im Einsatz erfolge. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte der "Bild"-Zeitung dagegen: "Die Bundesregierung tut alles, damit die Ausrüstung in Afghanistan bestmöglich ist. Gleichzeitig versichere ich, wenn hier neue Fragen auftauchen, werden Bundesregierung und Bundeswehr dem unverzüglich nachgehen."

Die Diskussion um Ausbildung und Ausrüstung war nach dem Tod dreier Soldaten in einem stundenlangen Gefecht am Karfreitag entbrannt. Im ZDF betonte Robbe, dass er die Mängel nicht für ihren Tod verantwortlich mache; dazu fehle ihm der Überblick über die konkrete Situation.

Hubschrauber, Artillerie, Ausbildung: Vieles fehlt

Robbes designierter Nachfolger Hellmut Königshaus (FDP) sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung": "Die bisherige Ausbildung der Bundeswehr ist auf die neue Qualität der Angriffe durch eine große Zahl von Taliban nicht ausgerichtet." Der Bundeswehrverband unterstützte die Kritik. "Die Fallschirmjäger schreiben uns, dass sie unzureichend ausgebildet in den Einsatz geschickt wurden", sagte Verbandssprecher Wilfried Stolze der "Rheinischen Post". Er nannte etwa das gefechtsmäßige Besteigen und Verlassen der Fahrzeuge. Einer der Soldaten war beim Absitzen getötet worden.

Hinsichtlich der Ausrüstung räumte das Verteidigungsministerium "Ergänzungsbedarf bei Hubschraubern" ein. "Der mittlere Transporthelikopter NH90 und der Kampfhubschrauber Eurocopter Tiger sind bestellt, aber leider noch nicht einsatzfähig", sagte Staatssekretär Christian Schmidt (CSU). Zugleich stellte er den Nutzen von mehr Kampfhubschraubern infrage: "Was helfen uns mehr Kampfhubschrauber, wenn sich die Taliban in Häusern mit Familien und Kindern verschanzen?"

Zugleich wies das Ministerium Königshaus' Forderung nach Einsatz des Kampfpanzers Leopard 2 zurück. Die Gassen der afghanischen Dörfer seien zu schmal und die Brücken zu schwach für das 60-Tonnen-Gefährt, sagte ein Sprecher des Heeres gegenüber "Spiegel Online". Zudem würden die Bundeswehr-Soldaten damit wie Besatzer wirken - das "wäre eindeutig das falsche Signal an die Bevölkerung".

Bundeswehr will durch Hauswände schießen können

Interne Berichte der Bundeswehr weisen nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung schon seit Monaten auf gravierende Ausrüstungsdefizite bei den deutschen Soldaten in Afghanistan hin. Wie die Zeitung unter Berufung auf Dokumente, die dem Blatt vorliegen, schreibt, fehlt es unter anderem an wirkungsvoller Munition für das Standard-Gewehr G36. "Die Hartkernmunition ist aufgrund der fehlenden Mannstoppwirkung ungeeignet", schrieb Brigadegeneral Jörg Vollmer (Kommandeur in Afghanistan bis Herbst 2009) laut "Bild" in seinem Bericht an das Einsatzführungskommando der Bundeswehr. Die fehlende "Mannstoppwirkung" führe dazu, dass getroffene Taliban-Kämpfer nicht sofort kampfuntauglich sind. "Die fehlende Mannstoppwirkung der Hartkernmunition erfordert im Gefecht einen höheren Munitionsansatz zur Bekämpfung von Zielen", so General Vollmer in seinem Bericht.

Aus dem Bericht des Generals gehe auch hervor, dass die Bordkanonen der gepanzerten Fahrzeuge "Dingo" und "Fuchs" nicht über die erforderliche Durchschlagkraft verfügten. "Eine Steigerung der Waffenwirkung ... ist zwingend erforderlich", schreibt Vollmer. Die Bordgeschütze "reichen bei der landestypischen Bauweise von Häusern und Wällen nicht, um diese zu durchschlagen". Vollmer beklagt auch das Fehlen von deutscher Artillerie in Afghanistan, wie zum Beispiel der Panzerhaubitze 2000. Vollmer schrieb nach den Angaben der Zeitung in seinem Bericht, dass die "Forderung nach einer weitreichenden zielgenauen Steilfeuerkomponente aufrecht zu erhalten" sei.

Die Polizeigewerkschaften warnten nach dem Gefecht erneut massiv davor, deutsche Polizei-Ausbilder mit ihren afghanischen Schülern außerhalb geschützter Lager auf Streife zu schicken. "Ohne hinreichenden militärischen Schutz steht die deutsche Polizeimission in Afghanistan vor dem Scheitern", sagte der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freitag. Der Vizevorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Bernd Carstensen, verlangteden Abzug der deutschen Polizisten, falls eine Ausbildung in Lagern nicht möglich sei.

Linke wollen Regierungserklärung zum Begriff "Krieg"

Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) zeigte sich weiter optimistisch für das Funktionieren der geplanten schrittweisen Ausstiegsstrategie. "In gesicherten Provinzen oder Bezirken werden wir noch bis Ende dieses Jahres in einigen gesicherten Distrikten die Sicherheitsarchitektur an die afghanischen Kräfte übergeben können", sagte er der "Rhein-Neckar-Zeitung" (Mittwoch).

Westerwelle warnte in der "Bild"-Zeitung vor einem überhasteten Abzug. "Wenn wir jetzt Hals über Kopf abziehen würden, wäre das Land in ganz kurzer Zeit wieder Rückzugsgebiet des Weltterrorismus. Dann würde die Anschlagsgefahr auch in Europa erheblich größer", sagte Westerwelle.

Die Linke forderte eine Regierungserklärung vor dem Bundestag, weil Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) den Einsatz "umgangssprachlich als Krieg" bezeichnet hatte. "Die Beteiligung an einem Krieg hat der Bundestag aber nie mandatiert", erklärte der Vizevorsitzende Klaus Ernst in Berlin.

dpa