Seit Monaten, wenn nicht seit Jahren, wartete Großbritannien auf diesen Moment: den Tag, an dem Premierminister Gordon Brown endlich den Startschuss für die Parlamentswahl gibt. Zwar beherrscht das Thema seit Wochen die politische Agenda, doch offiziell stand der Termin bisher nicht fest. Am Dienstag eröffnete der Premier, begleitet von einem riesigen Medienrummel, das Rennen um den Sitz in der Downing Street.
Am 6. Mai entscheiden die Briten, ob ihr Land nach 13 Jahren Labour-Regierung reif für den Wechsel ist. Doch was lange auf einen haushohen Sieg der konservativen Opposition hindeutete, ist jetzt wieder völlig offen. "Wir haben die unvorhersehbarste, dramatischste und aufregendste Wahl seit Jahren vor uns", sagte der Chefkorrespondent der BBC, Nick Robinson. Vergleichbar mit der Wahl vor 13 Jahren, als Browns Vorgänger Tony Blair für die sozialdemokratische Labour-Partei die Macht zurückeroberte und eine neue Ära seiner Partei einläutete. Vergleichbar auch mit der Wahl im Jahr 1979, als Margaret Thatcher für die konservativen Tories an die Spitze des Landes rückte und es von Grund auf umkrempelte.
Sportlicher Herausforderer
Dynamisch gab sich denn auch David Cameron (Foto: dpa), Browns jugendlicher Herausforderer und heutiger Chef der Tories. Schon im Morgengrauen zeigte sich der 43-Jährige joggend vor den Augen der Kameras. "Hoffnung und Wandel" verspricht er den 45 Millionen Wählern. Brown präsentierte sich derweil an der Seite seiner Frau Sarah, der zum anschließend zum Wahlkampf auf dem Lande aufbrach.
Wohl kaum ein Regierungschef hat so viel Prügel einstecken müssen wie Brown, von dem vor einigen Monaten niemand geglaubt hätte, dass er überhaupt noch an der Spitze der Partei stehen wird. Immer wieder kam es zu Rebellionen in den eigenen Reihen. Doch auf wundersame Weise konnte der 59-jährige, etwas dröge Schotte alle Putschversuche abwehren. Selbst den Spesenskandal, der das Parlament vor knapp einem Jahr erschüttert und zu mehreren Ministerrücktritten geführt hatte, konnte er aussitzen.
Premier darf Termin festlegen
Brown stellt sich erstmals dem Votum der Wähler: Denn er war im Juni vor drei Jahren Blair nachgefolgt, Wahlen gab es dazu nicht - und Labour war durch den Irakkrieg unbeliebt wie nie. Doch schon wenige Monate nach Browns Amtsantritt standen alle Zeichen auf Wahl, da Labour in Umfragen plötzlich Boden gutmachte. Zu den Besonderheiten des Königreiches gehört es, dass der Premier in einer Wahlperiode von fünf Jahren den Termin für den Urnengang selbst festlegen kann. Doch Brown machte einen Rückzieher, was ihm das Image eines Zauderers einbrachte, das er bis heute nicht losgeworden ist.
Doch all das interessiert die Briten nicht so sehr wie die Lage der Wirtschaft, die so desolat ist, wie in wenigen anderen EU-Ländern. "Die Wirtschaft war immer schon ein Thema bei Wahlen, aber dieses Mal beherrscht sie alles", erklärte Peter Kellner vom Meinungsforschungsinstitut YouGov. Gerade erst hat sich das Land aus der schwersten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg gerappelt, das Haushaltsdefizit ist fast so hoch wie das Griechenlands. Brown preist sich deshalb als erfahrener Profi an, der das Land durch stürmische Gewässer steuern kann.
"Land in den Abgrund getrieben"
Die Tories monieren jedoch, dass es die Labour-Partei und allen voran der langjährige Finanzminister Brown waren, die das Land mit ihrer Finanzpolitik in den Abgrund getrieben haben. Sie versprechen, die Verschuldung schneller in den Griff zu bekommen. Cameron hat es zwar seit seinem Antritt als Tory-Chef vor fünf Jahren geschafft, der Partei einen jugendlicheren Anstrich zu geben - unter dem letzten Tory-Premier John Major waren die Konservativen für viele Briten schlicht unwählbar gewesen.
Doch die Frage ist, ob er die Partei wirklich modernisieren konnte. Traditionell sind die Konservativen immer noch die Partei der Wohlhabenden, und Cameron haftet mit seiner Ausbildung in der Eliteschule Eton und dem Studium in Oxford das Image eines feinen Pinkels an. Im Ausland wird vor allem die EU ein Auge auf die Entwicklung haben, sind doch die Konservativen wesentlich euroskeptischer als Labour.
Sind Liberale Zünglein an der Waage?
Das Zünglein an der Waage könnten nun die Liberaldemokraten sein, die sowohl Labour als auch den Tories Wähler abgeluchst haben. Denn wenn keine der beiden großen Parteien die Mehrheit bekommt, rutscht eine dritte Partei mit ins Boot. Was in Deutschland ganz normal ist - eine Koalitionsregierung - gab es in Großbritannien seit dem Zweiten Weltkrieg erst einmal.
Um die Entscheidung zu erleichtern, gibt es dieses Mal mehrere TV-Duelle mit den Chefs der drei großen Parteien - ebenfalls ein Novum auf der Insel. Aber wo die Wähler letztendlich ihr Kreuzchen machen, ist wie in jedem anderen Land schwer vorauszusagen. Tony Travers von der London School of Economics betonte, die Vergangenheit habe immer wieder gezeigt, dass sich oft in kürzester Zeit, durch nur einen Skandal oder ein Ereignis, die Stimmung im Volk wandeln könnte.