Kaukasus: Aufschwung und Wohlstand helfen gegen Terror
Die Anschläge auf zwei Moskauer U-Bahn-Stationen in der vergangenen Woche haben den Blick wieder auf die Probleme zwischen Russland und dem Nordkaukasus gelenkt. Um den Konflikt zu entschärfen, helfen auf Dauer Härte gegen Terroristen und bessere Lebensbedingungen für die Bevölkerung, schreibt Gabriele Krone-Schmalz, langjährige TV-Korrespondentin in Moskau.
06.04.2010
Von Gabriele Krone-Schmalz

"Wir werden ihnen hinterher trauern, den übersichtlichen Zeiten des Ost-West-Konfliktes und dem Gleichgewicht des Schreckens durch die hochgerüsteten Waffenarsenale zweier Großmächte." Diese pessimistische Einschätzung mancher Zeitzeugen Ende der achtziger Jahre stand im krassen Gegensatz zur um sich greifenden Gorbimanie, geprägt von Begriffen wie Perestroika und Glasnost und angefüllt mit Freude über Grenzöffnungen und Abrüstung.

Die gegenseitige Bedrohung war verschwunden, und einem friedlichen Miteinander schien nichts mehr entgegenzustehen. "Wir brauchen international eine neue Sicherheitsarchitektur, um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein, nämlich Regionalkonflikten und Terrorismus." Solche Aussagen wollte niemand hören. Heute ist es genau das – Regionalkonflikte und Terrorismus - was Menschen weltweit bedroht. Auch die in Russland.

Binsenweisheit hilft in der Praxis nicht weiter

Es fällt auf, dass bei Terroranschlägen in Russland das anfängliche Mitgefühl ausländischer Politiker und Medien recht zügig dem Gedanken weicht: Letztlich sind die Russen selbst schuld, so wie die sich in Tschetschenien aufführen.

Gewalt provoziert Gewalt – das ist eine Binsenweisheit, die in der Praxis bedauerlicherweise nicht weiterhilft, da jeder Neuanfang mit den Verfehlungen der Vergangenheit zurechtkommen muss. Das ist im Kaukasus nicht anders als im Nahen Osten. Solange jede Seite davon ausgeht, dass Entgegenkommen nicht honoriert werden wird, solange ist dieser Teufelskreis nicht zu durchbrechen.

Rückblende. Im Sommer 1999 erklärte Schamil Bassajew, einer der Top-Terroristen aus Tschetschenien, der 2006 ums Leben kam, Moskau den Heiligen Krieg, und überfiel mit seinen Kämpfern die Nachbarrepublik Dagestan, um dort einen islamischen Gottesstaat aufzubauen. Dieser Überfall markiert den Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges, nicht – wie vielfach behauptet wird – die Explosion zweier Wohnhäuser in Moskau, die tschetschenischen Terroristen angelastet wurde, ohne dass es bis heute zweifelsfrei bewiesen werden konnte. Was sich in der Folge an Grausamkeiten auf beiden Seiten abgespielt hat, lässt alle Hoffnung auf eine kurzfristige tragfähige politische Lösung in dieser Region schwinden.

Mehr Unabhängigkeit viel früher?

Erschwerend kommt hinzu, dass es längst nicht mehr um die Unabhängigkeit Tschetscheniens oder anderer Landesteile geht, die man nur aus der Russischen Föderation entlassen müsste, um dem Terror ein Ende zu bereiten.

Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob mehr Unabhängigkeit zu einem früheren Zeitpunkt geholfen hätte, etwa 1994, als Boris Jelzin den ersten Tschetschenienkrieg vom Zaun brach, obwohl fast das gesamte russische Militär dagegen war und die russische Bevölkerung sehr viel Verständnis für den tschetschenischen Wunsch nach Selbständigkeit aufbrachte. Jedenfalls entwickelte sich Tschetschenien nach dem Ende des ersten Krieges, in einer Phase relativ großer Unabhängigkeit, zu einem Sammelbecken islamistischer Fundamentalisten.

Heute findet man in der Nordkaukasusregion eine schwer durchschaubare und demzufolge kaum beherrschbare Mischung aus Machtkämpfen verschiedener Clans, fundamentalistischer Gottesstaats Phantasien und organisierter Kriminalität. Als ob das alleine nicht schon schlimm genug wäre, kreuzen sich hier diverse geopolitische Interessen mit Blick auf Geld und Macht.

Armut und Ungerechtigkeit nähren Terror

Die Grundlage von Terror – abgesehen vom gleich bleibenden Prozentsatz bornierter Ideologen unter den Menschen – sind Armut und Ungerechtigkeit. Von daher ist die Entscheidung des russischen Präsidenten Medwedew, mit dem 45-jährigen Alexander Chloponin einen erfolgreichen Unternehmer an die Spitze des neu geschaffenen Distrikts zu berufen, der die nordkaukasischen Republiken und das Stawropoler Gebiet umfasst, genau der richtige Weg.

Aufschwung und Wohlstand als Waffe gegen den Terror. Das funktioniert nur nicht von jetzt auf dann. Friedliche Visionen in die Praxis umzusetzen, ist in der Regel auch nicht massentauglich. Es erfordert Zeit und Geduld - und jeder noch so kleine Zwischenfall kann die zarten Anfänge wieder zerstören, wie man über die Jahrzehnte hinweg nahezu täglich im Verhältnis zwischen Israel und den Palästinensern beobachten kann. Die eigenen Gesetze von Geopolitik und die zwangsläufige Zuspitzung und Vereinfachung in den täglichen Nachrichten sind weitere Hindernisse auf dem mühsamen Weg Vertrauen zu bilden.

Was bleibt also übrig? Härte gegen gewaltbereite Terroristen und nachdrückliche Arbeit an besseren Lebensbedingungen in deren Umfeld. An diesem Spagat scheint mir kein Weg vorbeizuführen. Dabei muss jedes Land für sich selbst entscheiden, wie es die Balance zwischen Freiheit einerseits und Sicherheit andererseits vor dem Hintergrund seiner ganz speziellen Gegebenheiten am besten hinbekommt.


Dr. Gabriele Krone-Schmalz, geb. 1949, studierte Osteuropäische Geschichte und Politische Wissenschaften und war nach diversen Stationen im WDR (u. a. Monitor) von 1987 bis 1991 ARD Korrespondentin in Moskau. Heute lebt sie als freie Publizistin in Deutschland und Spanien und ist u. a. im Lenkungsausschuss des Petersburger Dialog tätig. Neben zahlreichen Preisen (u. a. zweimal Grimme-Preis) wurde sie von deutscher Seite mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und von russischer Seite mit der Puschkin-Medaille ausgezeichnet. Mehr Infos unter www.krone-schmalz.de