Poetry Slam – die neue Generation der Dichter und Denker
Poesie muss nicht langweilig sein. Bei Poetry Slams präsentieren Dichter ihre Werke live vor Publikum und bieten so eine Mischung aus Pop und Poesie. Auch der Nachwuchs mischt kräftig mit.
06.04.2010
Von Sarah Salin

"Ich packe meinen Koffer und nehme einen Stein mit, ein Schwein, Schleim, meinen geliebten Hein, mein Sein und ein Stückchen von Rhein." Rund 15 Jugendlichen spielen ‚Ich packe meinen Koffer‘. Doch richtig, alles was mitgenommen werden kann, muss sich auf Stein reimen. Denn schließlich geht es heute in dem Bochumer Proberaum, in dem sonst Jung-Schauspieler toben, ums Dichten - genauer gesagt, um einen Poetry-Slam-Workshop für Jugendliche im Alter zwischen 16 und 20 Jahren. Es sind erste Vorbereitungen zur deutschsprachigen Slam-Meisterschaft, die im Rahmen der Kulturhauptstadt 2010 im November zum ersten Mal im Ruhrgebiet stattfindet.

Schon seit einigen Jahren ist Poetry Slam in Deutschland im Kommen. Es handelt sich hierbei um Dichter-Wettstreite, die meist im gemütlichen Stil in verruchten Kneipen oder auf alternativen Kleinkunstbühnen, doch auch in renommierten Theatersälen stattfinden. Vor allem junge Leute stehen dann fünf bis sechs Minuten im Rampenlicht, um selbst geschriebene Texte vorzutragen. Diese dürfen gereimt sein, doch auch Kurzgeschichten und gerappter Hip Hop sind erlaubt. Es darf lustig und depressiv hergehen, nachdenklich und verrückt.

Lustige Geschichten

"Wobei die lustigen Geschichten beim Publikum am besten ankommen", sagt die 16-jährige Michelle, die schon viele Slams besucht hat und heute an dem Workshop teilnimmt. Sie will sich in den nächsten Wochen zum ersten Mal selbst auf die Bühne trauen. Viele eigene Texte hat sie schon geschrieben, "um auf meine Gefühle besser klar zu kommen." Ein anderes Mädchen meint dazu: "In meinem Kopf geht es etwas seltsam zu, ich will, dass die Leute das mitkriegen."

Doch vor Zuschauern aufzutreten, um oft sehr persönliche Gedanken vorzutragen, das fordert Mut. Zumal es nach den Auftritten auf die Gunst des Publikums ankommt: Durch den stärksten Applaus wird der Slam-Meister des Abends ermittelt. „Wenn man von der Bühne kommt und alle klatschen, das ist das Allerschönste, ein Wahnsinns-Gefühl!“, schwärmt eine der anwesenden Poetinnen. Es sind mehr junge Frauen als Männer zu dem Workshop gekommen. Doch die meisten bereits auftretenden Slammer sind männlich.

Sebastian 23

Einer der wohl bekanntesten, professionellen Slammern überhaupt ist Workshop-Leiter Sebastian Rabsahl, auch Sebastian 23 genannt, unter welchem Synonym er 2008 die deutschsprachige Meisterschaft gewann. Er veranstalten mit vier Freunden in verschiedenen Ruhrgebietsstädten die sogenannten U20-Workshops, bei denen Jugendliche bis 20 Jahre Anregungen bekommen, um vielleicht den Entschluss zu fassen, auch bei der Poetry-Slam-Meisterschaft zu starten – in der Kategorie U20 natürlich. So macht Sebastian 23 seinen „Schreib-Küken“ Mut, hilft bei Texten, verteilt Kaffee, Kuchen und gute Laune. Es folgt eine Übung, wer will darf vorlesen.

Slammen ist schon eine anspruchsvolle Tätigkeit. Erst braucht es die Idee, und dann muss der Text ersonnen, geschrieben, verbessert, noch überdacht, überarbeitet und einstudiert werden. Es wird vor dem Spiegel oder vor Freunden geprobt und meist sogar auswendig vorgetragen - und wenn es sich um einen sechs-minütigen Beitrag handelt, sind das ganz schön viele Sätze. 

Doch die Szene wächst, gerade in den letzten fünf Jahren sind viele Veranstaltungen hinzu gekommen. Es sind derzeit etwa 100 monatliche Slams im deutschsprachigen Raum. Als Hochburgen gelten Berlin, München und Hamburg, aber es gibt auch in Bad-Oeynhausen den "Wortlust-Poetry Slam", den Augsburger "Lauschangriff" und in Aachen den "satznachvorn". So manche Bestseller-Autoren wie Marc-Uwe Kling und Ingeborg-Bachmann-Preisträger Michael Lentz haben ihre Wurzeln im Slammen, sagt Sebastian 23. Zum Hauptereignis der Szene, der jährlichen deutschsprachigen Meisterschaft, werden mehrere Hundert Poeten und ein Finale vor 2.000 Zuschauern erwartet. Es soll das größte Bühnenliteraturereignis des Jahres werden.

"Meine ,Slamily'"

"Wirklich das schönste bei dem Ganzen ist aber meine Slamily," sagt Sina Langner, wobei sie die Wortkreation aus Slam und Family zusammengesetzt hat: "Man kennt so viele Leute in der Szene. Wenn ich zu einem Slam anreise, dann schlafen oft alle in einem Hostel und man lernt sich richtig gut kennen", erzählt die 17-Jährige Schülerin, die sogar schon mal einen Slam in Düsseldorf gewonnen hat. Und dann sehen sich alle begeisterten Dichtwettstreiter auch immer wieder, schließlich reisen sie für ihre Auftritte durch die ganze Republik. Über Nacht können die auftretenden Wortkünstler oft bei anderen Poetry-Machern bleiben. Slammen verbindet schließlich.

Und es ist eine ganz besondere Form der Nähe: Denn bei den Auftritten wird ohne Zweifel viel zusammen gelacht, doch es werden manchmal auch ganze Weltansichten, harsche Gesellschaftkritik, tiefe Gefühle und prägende Erlebnisse offenbart. Gedanken werden in der Gruppe geteilt – authentisch, offen, ehrlich und life.

Mehr Informationen zur deutschen Poetry-Slam-Meisterschaft: www.slam-2010.de
Mehr Informationen zu bundesweiten Slam-Veranstaltungen: www.myslam.de


Im Mai finden in verschiedenen Städten die ersten U20-Stadtmeisterschaften im Ruhrgebiet statt, deren beste Teilnehmer sich auch für die Ruhrgebietsmeisterschaften qualifizieren. Folgende Termine gibt es für die Stadtmeisterschaften:

Bochum, JungesSchauspielhaus, 02.05.10 (20 Uhr)

Essen, GREND, 15.05.10 (20 Uhr)

Herne, Flottmannhallen, 20.05.10 (20 Uhr)

Duisburg, Hundermeister, 25.05.10 (20 Uhr)

Sarah Salin ist freie Journalistin und lebt in Bochum.