Je mehr Soldaten, desto mehr Entwicklungshilfe: Deutschland verstärkt in diesem Jahr sein ziviles und militärisches Engagement in Afghanistan. Wie wichtig die Aufbauarbeit in Afghanistan der Bundesregierung ist, will Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) zeigen, der am Donnerstag zu einem Überraschungsbesuch in dem Krisenstaat eingetroffen ist. Die Reise des Politikers ist auch so etwas wie ein Lackmus-Test für seinen Vorstoß, deutsche Entwicklungshilfe nur noch dort einzusetzen, wo die Bundeswehr stationiert ist - also im Norden Afghanistans. Viele Hilfsorganisationen sehen das kritisch.
Die Forderung sei "nur zulässig, wenn nicht andere Provinzen durch das Raster fallen", sagt Timo Christians von der Welthungerhilfe. Es gebe Provinzen, in die kaum Hilfe gelange. Auf diese Weise setze man "keinen guten Anreiz", betont der Afghanistan-Experte: Wo es ruhig ist, passiere nichts, "wo der Aufstand ist, wird reingebuttert".
Niebels Vorschlag ist "zu einfach gedacht"
Eine solche Gegend, in der friedlich zugeht, ist Daikund. Kämpfe zwischen aufständischen Taliban und den westlichen Truppen, wie in anderen Teilen des Landes, gibt es hier nicht. Allerdings fließt auch kaum Entwicklungshilfe für diese abgeschiedene Region. Caritas Deutschland arbeitet seit den 70er Jahren hier.
Die gebirgige Zentralregion westlich der Hauptstadt Kabul gehört zu den ärmsten Landstrichen Afghanistans. In den langen und strengen Wintern ist das karge Hochland oft monatelang von der Außenwelt abgeschnitten. Einrichtungen wie Krankenhäuser und Schulen sucht man meist vergebens. "Dort gibt es kaum staatliche Strukturen", sagt Marianne Huber von der Caritas. Es sei zwar legitim, in der Entwicklungshilfe bestimmte Schwerpunkte zu setzten, doch man müsse in Afghanistan auch Regionen fördern, "die nicht direkt vom Konflikt betroffen sind".
Niebels Vorstoß, Entwicklungsmittel und militärisches Engagement zu koppeln, sei "zu einfach gedacht", sagt Huber. Die Afghanistan-Hilfe müsse langfristig angelegt sein - nicht für die nächsten ein, zwei Jahre, bis die westlichen Truppen abgezogen seien. "Afghanistan braucht jahrelange Begleitung", betont die Programmleiterin der Caritas.
Militär und Entwicklungshilfe dürfen nicht vermischt werden
Auch die Welthungerhilfe sieht die Gefahr, dass die Aufbauhilfe für Afghanistan mit einer Konzentration auf die Bundeswehr-Region im Norden zu kurzatmig angelegt sein könnte. "Es besteht die Gefahr, dass der zivile Aufbau sich militärischen Gesichtspunkten unterordnen muss", sagt Christians. Hilfe könne dann zu schnell den Zweck bekommen, sich Ruhe und Loyalität der Bevölkerung in der Kampfzone zu erkaufen.
Zudem sieht Christians die Gefahr, dass die Bevölkerung die Helfer mit dem Militär identifizieren könnte. Die Akzeptanz der Entwicklungsarbeit könne dann davon abhängen, wie die dort stationierten Soldaten gerade angesehen seien. "Und so etwas kann sich schnell ändern," warnt Christians.
Bereits jetzt erschwert die katastrophale Sicherheitslage im Land die Arbeit der Hilfsorganisationen. Die Welthungerhilfe hat ihre Projekte im Norden des Landes, wo die Bundeswehr stationiert ist, im Herbst 2009 aufgegeben, nachdem ein Mitarbeiter bei einem Anschlag getötet wurde. Christians berichtet, es habe auch Warnanrufe an die lokalen Mitarbeiter gegeben, nicht mit den Deutschen zusammenzuarbeiten.
Im Krieg ist es schwer, Straßen zu bauen
Auch die KfW Entwicklungsbank, die im Auftrag der deutschen Regierung tätig ist, spürt die Verschlechterung der Lage. "Die Bewegung ist eingeschränkt", erzählt Ulrich Jedelhauser, der das KfW-Büro in Kundus leitet. Deutschland hat für dieses Jahr die Entwicklungsgelder für Afghanistan auf 250 Millionen Euro verdoppelt. Auch die KfW hat somit deutlich mehr Mittel zur Verfügung.
Sie ist vor allem im Norden, wo die deutschen Soldaten stationiert sind, tätig und baut an Brücken, Straßen, Wasser- und Energieversorgung, Schulen, Krankenstationen und sogar an einem Flughafen. "Im kriegerischen Umfeld ist es schwerer, eine Straße zu bauen", erklärt Jedelhauser. Dennoch bleibt er zuversichtlich, dass die Arbeit weitergehen kann. "Wir haben kein Projekt stoppen müssen." Aber es gebe natürlich zeitliche Verzögerung. "Terminpläne verschieben sich nach hinten."
Die Arbeit der KfW genieße Vertrauen bei der Bevölkerung. Afghanen zeigten sich zufrieden, dass es in Kundus mittlerweile Strom, Straßen und Wasser gibt. Jedelhauser mahnt dennoch zur Geduld: "Wir müssen im Takt der afghanischen Strukturen arbeiten". Wenn man dies außer Acht lasse, überfordere man die Gesellschaft: "Ich glaube, wir haben schon was erreicht."