Neue Wege in der Pflege: Waffeln backen im Wohnzimmer
Wie kann man schwerst-demenzkranken Menschen in einem Pflegeheim in ihren Bedürfnissen gerecht werden? Ein evangelisches Haus in Osnabrück versucht, Privatsphäre und Gemeinschaft zusammenzubringen und geht dazu neue Wege.
01.04.2010
Von Martina Schwager

Sonne durchflutet den freundlichen, großen Raum. Es duftet nach knusprig gebackenem Teig. Der Infusionsständer ist mit Frühlingsblumen geschmückt. Heute folgen vier der acht Bewohner der Station für Schwerst-Demente dem Programm im Gemeinschaftszimmer. Augen und Hände fliegen mal fahrig umher, ruhen dann wieder auf der Bettdecke. "Na, Frau S., schmeckt's?" fragt Uwe Rüngeling liebevoll. Sie ist die einzige, die noch ein Stück Waffel essen kann. Zur Antwort erhält er ein Raunen. Das evangelische Alten- und Pflegeheim Heywinkel-Haus in Osnabrück geht bei der Betreuung der schwerst-dementen Bewohner einen ganz neuen Weg.

Demenz macht Verständigung schwierig

"Beschütztes Wohnen" heißt das Konzept und hat die sogenannten Pflegeoasen zur Grundlage. In Pflegeoasen, von denen es in Deutschland rund 30 gibt, werden die Bewohner Tag und Nacht in einem Gemeinschaftsraum betreut, damit sie in ihren Einzelzimmern nicht vereinsamen. Denn im Endstadium der Demenz sind sie in der Regel bettlägerig und können nicht mehr sprechen. Allerdings sind die Pflegeoasen umstritten, weil sie den Patienten keine Privatsphäre ermöglichen. Im Heywinckel-Haus - und das ist das Besondere - hat jeder Bewohner darum zusätzlich noch ein Einzelzimmer. Dazu wurde die Station komplett umgebaut.

"Bei uns hat jeder das Recht auf soziale Teilhabe und auf Rückzug ins Private. Man muss nicht 24 Stunden mit anderen zusammen sein", sagt Pflegedienstleiterin Monika Stukenborg, die das Konzept entwickelt hat. Herr K. zum Beispiel gebe den Pflegern zu verstehen, dass er meistens lieber auf seinem Zimmer bleiben möchte.

Im Gemeinschaftsraum - dem Wohnzimmer - werden Waffeln gebacken, Lieder gesungen oder Andachten gehalten. Die fortgeschrittene Demenz mache Pflege und Verständigung schwierig, sagt die Expertin. Sie beugt sich über das Bett von Frau S. und stellt behutsam das Kopfteil höher. "So können Sie doch Herrn Rüngeling besser sehen", sagt sie und streicht ihr sanft über die Wange. "Diese Patienten kommen oft zu kurz, weil sie ihre Bedürfnisse nicht mehr einfordern können."

Gegen Wiedereinführung der Mehrbettzimmer

Auch das Kuratorium Deutsche Altershilfe hat sich gegen das Konzept der reinen Pflegeoasen ausgesprochen. Es sei die Wiedereinführung der Mehrbettzimmer durch die Hintertür, kritisiert der Verein. Das Kuratorium empfiehlt stattdessen die Unterbringung in Einzelzimmern mit weit zu öffnenden Türen zum zentralen Aufenthaltsraum. Das komme dem "beschützten Wohnen" im Heywinkel-Haus sehr nahe, sagt Christine Sowinski vom Kuratorium.

Der Verein nennt das "qualitätsgeleitete Pflegeoasen". Dazu gehöre etwa auch, dass Bewohner tagsüber möglichst oft ihre Position wechseln könnten. Waagerechtes Liegen schränke auf Dauer das Gesichtsfeld und somit die Sinnes- und Körperwahrnehmung ein.

Jürgen Dettbarn-Reggentin, Leiter des Instituts für sozialpolitische und gerontologische Studien in Berlin, hält eine solche Kombination von Pflegeoase und Einzelzimmer zwar auch für wünschenswert. Aber für die meisten Heime sei so etwas allein baulich kaum umzusetzen, sagt er. Gemeinschaftsräume allerdings seien unverzichtbar. Sie könnten das Wohlbefinden dementer Bewohner auch in ihrer letzten Lebensphase noch erheblich steigern.

FH begleitet das "beschützte Wohnen"

Die Pflegewissenschaften hätten sich bislang vor allem um Erkrankte mit Verhaltensauffälligkeiten wie Schreien oder Weglaufen bemüht, sagt Heimleiter Eckard Kallert. "Über die Pflege von Menschen in weit fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung, die immobil und sprachunfähig sind, gibt es bisher kaum Untersuchungen." Seit Februar begleitet darum die Fachhochschule Osnabrück das "beschützte Wohnen".

Jeden Nachmittag bieten im Heywinkel-Haus sogenannte Altersbegleiter wie Uwe Rüngeling ein spezielles Programm an: Sie kochen und backen, machen Spiele zur Wahrnehmungsförderung oder begleiten die Patienten beim Bad in der neu angeschafften Wellness-Badewanne. Lichtkonzept und Auswahl der Wandfarben entsprechen wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Doch auch ohne wissenschaftliche Belege steht für Monika Stukenborg der Erfolg außer Frage. Eine Bewohnerin habe sogar wieder angefangen, einzelne Worte zu sprechen: "Dafür allein haben sich die Mühen des Umbaus und der Umsetzung des neuen Konzeptes gelohnt."

epd