"Das letzte Stück Himmel", Karsamstag, 3. April, 21.55 Uhr auf Arte
"Ich gehe jetzt auf die Brücke": Die Botschaft des Anrufers ist unmissverständlich. Es ist offenbar nicht die erste ihrer Art, aber es könnte die letzte sein. Also setzt sich der junge Mann am anderen Ende der Leitung in seinen Porsche und rast los, von München nach Wuppertal-Oberbarmen. Dort steht die höchste Eisenbahnbrücke Deutschlands, und ein verzweifelter Mensch wartet auf Rettung.
Die Handlung spielt unübersehbar in der Gegenwart, die Helden der Geschichten sind vergleichsweise jugendlich und fahren schnelle Autos, die Musik ist zeitgenössisch und temporeich. Das ist an sich nichts besonderes. Doch "Das letzte Stück Himmel" ist ein Film von Jo Baier ("Der Laden", "Wambo", "Schwabenkinder"), und der gehört nicht nur zu den renommiertesten deutschen Fernsehregisseuren, seine (in der Regel selbst geschriebenen) Geschichten befassen sich auch überwiegend mit zeitgeschichtlichen Themen.
Zivilcourage spielt große Rolle
Filme wie "Stauffenberg" oder "Nicht alle waren Mörder" haben Baier gleich mehrere Grimme-Preise und diverse andere Auszeichnungen beschert. Beide Stoffen spielen während der Nazi-Zeit; vielleicht wollte Baier gerade deshalb mal etwas ganz anderes erzählen. Beide Filme sind ja so etwas wie ein Denkmal. "Stauffenberg" ohnehin, aber auch die Adaption der Kindheitserinnerungen von Michael Degen, denn Baier würdigt mit "Nicht alle waren Mörder" all jene stillen Helfer, die von der großen Geschichtsschreibung gern übersehen werden. In beiden Fällen war es Baier aber nicht minder wichtig, Geschichten über Werte zu erzählen. Zivilcourage zum Beispiel zieht sich ohnehin wie ein roter Faden durch seine Filmografie und spielt auch diesmal eine große Rolle.
"Für Julian"
Baier steht also für große, wichtige zeitgeschichtliche Themen, die er mit angemessenem Ernst umsetzt. Nun ist "Das letzte Stück Himmel" zwar alles andere als eine Komödie, aber dennoch hebt sich der Film deutlich von Baiers Gesamtwerk ab. Trotzdem hat er nicht lange überlegt, als der Bayerische Rundfunk ihm das Projekt angeboten hat. Es basiert auf einem Originaldrehbuch von Michael Watzke, einem Absolventen der Drehbuchwerkstatt München. Baier hat das Skript überarbeitet, ist den Grundzügen der Geschichte aber treu geblieben. Kein Wunder: Die Einblendung am Ende, "Für Julian", der 2002 gestorben ist, verdeutlicht den biografischen Charakter der Ereignisse.
Mit David Rott und Max von Putendorf
Die Handlung ist eher einfach: Anno (David Rott), offenbar erfolgreicher Modefotograf und Frauenschwarm, nimmt seinen suizidgefährdeten jüngeren Bruder (Max von Putendorf) zu sich. Mit einem Trick sorgt er dafür, dass Julian, nach dem frühen Krebstod ihrer Mutter schwermütig, neuen Lebensmut gewinnt: Er verspricht ihm, dass er die hübsche Laura (Nora Tschirner) kennen lernen wird, eine etwas kratzbürstige und eigenwillige junge Frau, die wie Anno leidenschaftliche Segelfliegerin ist. Der Plan geht auf: Julian, in Liebesdingen völlig unerfahren, ist von Laura hingerissen, sucht sich Wohnung und Arbeit, begleitet Anno begeistert beim Fliegen und ist nach einem Bruderschaftskuss Lauras ganz selig. Ein weiterer Kuss beendet die ohnehin einseitige Romanze allerdings: Nach einem Absturz mit dem Flugzeug liegt Laura im Koma. Julian wacht Tag und Nacht an ihrer Seite, doch als sie aufwacht, hat sie Augen nur für Anno, der sich längst ebenfalls in sie verliebt hat. Das Experiment ist gescheitert, Vater Wilhelm (Karl Kranzkowski) holt Julian wieder heim nach Wuppertal, und am Ende schließt sich der Kreis.
Gegensätzliche Daseinsentwürfe
Es mag gewisse Parallelen zu "Rain Man" geben, zumal Julian mit seinem Ordnungstick ein echter Zwangsneurotiker ist. Baier inszeniert die Geschichte allerdings unaufgeregt und unspektakulär. Trotzdem schaut man den jungen, bis auf Tschirner kaum bekannten Darstellern gerne zu; von den prachtvollen Alpenbildern während der Flugeinlagen ganz zu schweigen. In erster Linie aber lebt der Film natürlich von den beiden gegensätzlichen Daseinsentwürfen: hier der depressive Julian, der das Leben satt hat, weil es sich ihm "undurchsichtig und dunkel" darbietet und deshalb quält; dort der ohne Frage oberflächlichere, aber eben auch heitere Anno, der das Leben schön findet, ohne es zu hinterfragen: weil es für ihn in erster Linie aus Küssen, Essen, Lieben und Segelfliegen besteht.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).