Bußgottesdienst für Opfer von Missbrauch
Mit einem Bußgottesdienst hat die katholische Kirche in ihrer Hochburg Österreich am Mittwochabend auf den auch im Alpenland immer größer werdenden Missbrauchsskandal reagiert.
01.04.2010
Von Miriam Bandar

Mit gesenktem Kopf steht ein weißhaariger Mann vor dem Altar des Wiener Stephansdoms. "Rette mich, mein Gott", bittet er - und meint damit die Rettung vor seiner eigenen Kirche. Er erzählt von Ängsten und Alpträumen, der Suche nach der eigenen Schuld: "Ich habe doch nichts getan."

Kirche als Sünder: Kardinal Christoph Schönborn sprach ein Schuldbekenntnis seiner Kirche, Opfer oder deren Vertreter schilderten in deutlichen Worten ihre Qualen, Kirchenkritiker durften Sexualmoral und Machtstruktur in Frage stellen. "Das ist schon historisch", raunt einer der 3.000 Besucher des ungewöhnlichen Gottesdienstes, bei dem die Kirche selbst die Rolle des Sünders hat.

"Wir bekennen, dass wir die Wahrheit nicht erkennen wollten"

Still ist es in dem jahrhundertealten katholischen Wahrzeichen, als die Menschen im Halbdunkel vor dem Altar von Gewalt, Demütigung und Missbrauch hinter den Mauern der Institution berichten: Die Schülerin des Mädcheninternates, die kahlgeschoren in einer Zwangsjacke im Schlafsaal im Bett in ihren eigenen Exkrementen liegt, diese unter der Aufsicht einer Nonne mit vorgehaltenem Stock selbst aufwischen muss. Der zu früh geborene Junge, der sich durch die Liebe seiner Eltern so gut entwickelt, dass er sogar Theologie studieren kann - und nach dem sexuellen Missbrauch durch einen Pater psychisch auf den Stand eines Vierjährigen zurückfällt. Der pädophile Pfarrer, der trotz des Flehens der Mutter eines seiner Missbrauchsopfer beim Bischof nach einem Jahr Pause wieder mehrere Gemeinden anvertraut bekommt.

"Wir bekennen, dass wir die Wahrheit nicht erkennen wollten, dass wir vertuscht und falsches Zeugnis gegeben haben", bezieht sich Schönborn auf die jahrzehntelange Praxis der Kirche, mit solchen Fällen umzugehen. Die Kirche habe durch ihre Mitglieder Schuld auf sich geladen. Missbrauch von Schutzbefohlenen sei speziell in der Kirche noch einmal schlimmer, da er den Opfern zusätzlich den Weg zu Gott versperre, führt der Kardinal in seiner Predigt aus.

Zweifel an der neuen katholischen Offenheit

Andere Mitwirkende des Gottesdienstes - darunter auch Mitglieder der reformorientierten Organisation "Wir sind Kirche" - werden deutlicher und fordern Veränderung. Seine Wut auf die "kirchlichen Kinderschänder und Gewaltpädagogen" sein unermesslich, schimpft ein Mann. Die jahrzehntelange Doppelmoral wird angeprangert: Ein Priester, der sich zu seiner Freundin bekennt, verliere seine Arbeit, während ein Kinder missbrauchender Geistlicher gedeckt und weiterhin versorgt wird. Auch die Sexualmoral und die Stellung der Frau in der Kirche sollen auf den Prüfstand. "Es liegt zu viel kirchliche Macht in zu wenig Händen", kritisiert ein Anderer.

Die Besucher sind nach dem rund zweistündigen, sehr ruhigen Gottesdienst sichtlich bewegt, manche verlassen mit Tränen in den Augen den Stephansdom. "Es ist beruhigend, dass so etwas passiert", sagt die 28-jährige Katholikin Martha Rogal aus Wien. Sie hofft auf einen Katharsis-Effekt, dass die Kirche jetzt geheilt werde. Die Wienerin Margarethe Mair hat sich von den Worten des Kardinals allerdings mehr erhofft: "Für mich war es ein bisschen zu sanft, es sind keine konkreten Dinge herausgekommen", analysiert die ältere Dame. Selbst die Mitwirkenden des Gottesdienstes hatten am nachhaltigen Effekt der neuen katholischen Offenheit ihre Zweifel: "Wie können jene, die jahrelang weggeschaut und weggehört haben, plötzlich wahrhaft Hörende und Sehende sein", fragte ein Mann vor dem Altar.

dpa