Jerusalem : Bewachter Schlüssel zur Grabeskirche
Der neutrale Wächter: Eine muslimische Familie wacht über den Schlüssel zu einem der bedeutendsten Heiligtümer des Christentums - der Grabeskirche in Jerusalem.
01.04.2010
Von Marlene Halser

Sein Stammplatz ist gleich neben der Eingangstür. Jeden Tag sitzt Abdul Quader Adib Joudeh auf einer kleinen Bank hinter dem Eingang zur Grabeskirche in Jerusalem und sieht zu, wie die Pilger und Touristen ein- und ausgehen. Der 80-jährige hat eine wichtige Aufgabe: Er wacht über den Schlüssel zu einem der bedeutendsten Heiligtümer des Christentums. Die Kirche steht an der überlieferten Stelle der Kreuzigung Jesu und seines Grabes.

"Wir haben den Schlüssel zur Grabeskirche von Sultan Saladin bekommen", sagt Abdul Joudeh, "vor genau 818 Jahren." Als er weiter spricht, hebt er den Zeigefinger und zerteilt die Luft damit bei jedem Wort. "Er wurde in unserer Familie weitergegeben, von Vater zu Sohn, von Generation zu Generation." Die Verantwortung der muslimischen Familie ist groß. Seit der arabische König Saladin Jerusalem von den Kreuzrittern befreite, sorgen die Joudehs als neutrale Wächter dafür, dass es zwischen den verschiedenen Glaubensrichtungen keinen Streit gibt.

Ostern führt zu Streitigkeiten zwischen verschiedenen Konfessionen

Sechs christliche Konfessionen teilen sich die Kirche. Die Hauptverwaltung haben die griechisch-orthodoxe, die römisch-katholische und die armenisch-apostolische Kirche inne. Im 19. Jahrhundert kamen die syrisch-orthodoxe und die äthiopisch-orthodoxe Kirche, sowie die Kopten hinzu. Die Protestanten besitzen mit der Erlöserkirche eine eigene Kirche in Jerusalem.

Nicht nur der Besitz der Kirche ist genau geregelt, sondern auch wer wann, wo und wie lange beten darf. So muss zum Beispiel das Grab Jesu für die tägliche Prozession der Franziskaner von den Orthodoxen frei gemacht werden. Besonders kritisch wird die Situation zu Ostern, wenn alle Kirchen das Hochfest der Auferstehung feiern. Bisweilen kommt es dann zwischen den Anhängern der verschiedenen Konfessionen zu Handgreiflichkeiten, etwa weil Gebetszeiten nicht eingehalten werden.

Die Familie Joudeh musste in ihrer Funktion als Schlüsselwärter schon oft zwischen den erhitzen Gemütern schlichten. "Ich gehe dazwischen und versuche die Streitenden zu beruhigen", erklärt Abdul Joudeh. Abgesehen von diesen Zwischenfällen, ist sein Leben sehr geruhsam. Früher hat er den langen Metallschlüssel zur Grabeskirche jeden Abend mit nach Hause genommen und ihn morgens pünktlich zur Öffnung der Kirche wieder gebracht.

Seit 637 Wächter des Schlüssels

Doch seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967, in dem die Israelis Jerusalem eroberten, hat sich die Situation in der Altstadt verändert. Immer wieder werden Ausgangssperren verhängt, bis zum heutigen Tag attackieren erboste Palästinenser die israelischen Soldaten immer wieder mit Steinen, und die Altstadt erstickt im Tränengas. "Heute bleibt der Schlüssel über Nacht bei der Grabeskirche", erklärt er. "Ich habe einen Angestellten, der nachts auf den Schlüssel aufpasst."

Zwei Mal täglich überreicht Abdul Joudeh den Schlüssel an seinen Kollegen Wajeeh Nuseibeh, dessen Familie auf eine noch längere Tradition in der Grabeskirche zurückblicken kann. Die ebenfalls muslimischen Nuseibehs bekamen die Pflicht, den Schlüssel der Grabeskirche zu bewachen, bereits 637 von Kaliph Omar übertragen.

Festen Regelwerk bewahrt Frieden

Als König Saladin 550 Jahre später die Familie Joudeh zu den Wächtern des Schlüsseln erklärte, blieb den Nuseibehs lediglich die Verantwortung für die Tür der Grabeskirche erhalten. Und so öffnet und schließt Wajeeh Nuseibeh nun morgens und abends die schwere Holztüre - auch das geschieht nach einem streng festgelegten Ritual.

"Wenn ich morgens die Glocke läute, öffnet abwechselnd entweder ein griechisch-orthodoxer, ein römisch-katholischer oder ein armenischer Geistlicher eine kleine Klappe in der Türe und gibt mir die Leiter heraus", erklärt Nuseibeh. "Dann schließe ich erst das untere Schloss auf, dann steige ich auf die Leiter und öffne das obere Schloss." Am Abend vollzieht er das Ritual in umgekehrter Reihenfolge. Mit Hilfe dieses festen Regelwerks bleibt der Frieden in der Grabeskirche bis auf wenige Ausnahmen gewahrt.

epd