Kirche schaltet Telefon-Hotline für Missbrauchsopfer frei
Opfer von sexuellen Übergriffen in der katholischen Kirche erhalten künftig über eine Telefon-Hotline Beratung und Hilfe. Jeder fünfte Katholik in Deutschland denkt derweil an Kirchenaustritt.

Der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, ermutigte am Dienstag die Opfer zurückliegender und aktueller Fälle im Bereich der katholischen Kirche, sich zu melden. Ackermann sagte in Trier: "Wir wollen ansprechbar sein, wollen wissen, was erlitten wurde, und den Betroffenen bei der Aufarbeitung beistehen."

Die telefonische Opferberatung ist ab sofort unter der kostenlosen Nummer (0800) 120 10 00 erreichbar. Künftig soll sie jeweils dienstags, mittwochs und donnerstags von 13 bis 20.30 Uhr besetzt sein. Außerhalb dieser Zeiten ist ein Anrufbeantworter geschaltet. Zudem hat die Deutsche Bischofskonferenz unter www.hilfe-missbrauch.de ein ergänzendes Internetangebot aufgebaut.

Anonymität zugesichert

"Wir wollen nur Türöffner sein und die Anruferinnen und Anrufer ermutigen, den nächsten Schritt zu gehen", sagte Andreas Zimmer, Leiter des Arbeitsbereichs Beratungsdienste beim Bistum Trier, der die Hotline mit aufbaute. Nach der telefonischen Erstberatung sei in einem zweiten Schritt die Vermittlung von Therapieangeboten möglich. Die Beratung sei kostenfrei, auf Wunsch anonym, und es bestehe keine Pflicht zur Anzeige. Allerdings seien Hinweise auf eine andauernde Missbrauchssituation bei Kindern meldepflichtig.

Zur Frage eines Opferentschädigungsfonds werden die deutschen katholischen Bischöfe nach Ackermanns Angaben voraussichtlich bis Ende April Stellung nehmen. "Wir sind im Gespräch: Was ist angemessen und was hilft?" sagte er. Es solle kein "Fonds zum Freikaufen" sein.

Jeder fünfte Katholik denkt an Austritt

Wegen des Skandals haben 19 Prozent der deutschen Katholiken bereits darüber nachgedacht, aus der Kirche auszutreten. Die große Mehrheit (80 Prozent) der Katholiken will ihrer Kirche jedoch die Treue halten, wie aus einer in Hamburg veröffentlichten "Stern"-Umfrage hervorgeht. 45 Prozent der Katholiken sind mit der Arbeit von Papst Benedikt XVI. unzufrieden und geben ihm eine schlechte Note. Das Forsa-Institut befragte rund 850 repräsentativ ausgesuchte Katholiken.

Nach Ansicht des Bischofs der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Frank Otfried July, haben die Missbrauchsfälle dem Vertrauen in die Kirchen geschadet. "Im Erschrecken über das Geschehene müssen wir Kirchenvertreter die Opfer um Verzeihung und Gott um Erbarmen bitten", sagt July in seiner aktuellen Videobotschaft zum Osterfest.

Immer mehr Fälle

Unterdessen wurden weitere Missbrauchsfälle bekannt. In einem Internat der Steyler Missionare im saarländischen Sankt Wendel hat es nach Angaben des katholischen Ordens in den 1960er und Anfang der 1980er Jahre Fälle sexuellen Missbrauchs gegeben. Hinweise auf einen Ordenspriester, der sich in den frühen 1960er Jahren an Schutzbefohlenen vergangen haben soll, hätten sich durch den Bericht eines Opfers bestätigt. In einem weiteren Fall handele es sich um einen einmaligen Fall von sexuellem Missbrauch eines Heranwachsenden Anfang der 1980er Jahre.

Die Gefahr sexuellen Missbrauchs ist nach Expertenmeinung in Heimen und Internaten besonders hoch. In der Hierarchie dieser "totalen Institutionen" entwickele sich eine absolute Macht gegenüber Tieferstehenden, sagte der Psychiatrie-Professor Andreas Spengler in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Wenn die Erziehung den Gehorsam über alles stellt, scheint die Gefahr besonders groß."

Schlagende und streichelnde Hand

Immer wieder berichteten Opfer, dass der tagsüber so strenge und schlagende Priester und Lehrer nachts Zärtlichkeiten verlangt habe: "Die schlagende Hand wurde zur streichelnden Hand, die heute alle Vorwürfe abwehrt." Spengler leitete von 1988 bis 2008 als Direktor das psychiatrische Krankenhaus in Wunstorf bei Hannover.

epd