Nach Kündigung: Vergleich im "Maultaschen-Fall"
Im sogenannten Maultaschen-Fall gibt es einen Vergleich. Eine Pflegerin hatte sechs Maultaschen mitgenommen, was ihr Arbeitgeber als Diebstahl auffasste und ihr kündigte. Das Landesarbeitsgericht bewegte beiden Seiten nun zu einem Vergleich.
30.03.2010
Von Jürgen Ruf

Die sechs geklauten Maultaschen liegen der Seniorenbetreuerin aus Konstanz am Bodensee noch immer schwer im Magen: Vor einem Jahr hatte sie die mit Fleisch gefüllten Teigtaschen in dem Altenheim, in dem sie fast seit 17 Jahren arbeitete, kurzerhand mitgenommen. Sie wären sonst im Müll gelandet. Doch der Diebstahl hatte weitreichende Folgen. Der Frau wurde fristlos gekündigt. In der zweiten Instanz hat die 58-Jährige nun einen Teilerfolg erzielt: Die in Freiburg ansässige Kammer des baden- württembergischen Landesarbeitsgerichts (LAG) sprach ihr eine Abfindung zu.

 

Die Altenpflegerin, die namentlich nicht genannt und auch nicht fotografiert werden will, ist seit der Kündigung krankgeschrieben. Aussicht auf eine neue Stelle hat sie nicht - wegen ihres Alters und weil der Fall durch die Öffentlichkeit ging. Die fristlose Kündigung nach fast 17 Jahren kam überraschend, sagt sie. Doch nachdem sie sich bei dem für die Senioren bereitgestellten Essen bedient und die schwäbische Spezialität in ihre Tasche gesteckt hatte, verlor sie von einem auf den anderen Tag ihren Job.

Abmahnung ja, Kündigung nein

Im Oktober hatte das Arbeitsgericht Radolfzell die Kündigung für rechtens erklärt. Die Folge: Die Altenpflegerin erhielt keine Abfindung. Sie legte Berufung ein und brachte den Fall damit vor das Landesarbeitsgericht. Dort kam es am Dienstag zur Kehrtwende: Der Vorsitzende Richter Christoph Tillmanns bewegte die Kontrahenten, die lange auf ihren Positionen beharrten, zu einer Einigung. Seine Begründung: Eine fristlose Kündigung wegen sechs geklauter Maultaschen sei im konkreten Fall überzogen. Er rückte damit von der Entscheidung der ersten Instanz ab.

Die 58-Jährige erhält dem Vergleich zufolge von ihrem Arbeitgeber, der Konstanzer Spitalstiftung, 25.000 Euro Abfindung sowie zusätzlich rückwirkend mehrere Monatslöhne. Dieser Anteil muss noch berechnet werden, beträgt aber maximal 17.500 Euro. Sie kann also mit bis zu 42.500 Euro rechnen. Im Gegenzug akzeptiert sie ihre Kündigung.

"Dem Arbeitgeber ist durch das Fehlverhalten der betroffenen Altenpflegerin kein wirtschaftlicher Schaden entstanden", stellte der Richter klar. Dennoch habe die Frau gegen ein von der Heimleitung 2002 ausgesprochenes Verbot verstoßen. "Eine Abmahnung wäre daher angemessen gewesen, nicht aber die fristlose Kündigung", zumal die Mitarbeiterin in der Vergangenheit nicht wegen ähnlicher Vergehen aufgefallen sei.

Frikadellen "stets ohne Mantel"

Es ist zwar ein Einzelfall, doch die Bewertung des Gerichts hat grundsätzlichen Charakter. "Die entscheidende Frage ist, ob die Reaktion des Arbeitgebers verhältnismäßig ist", sagte Tillmanns. Dies könne nur in konkreten Fällen beantwortet werden. Fest stehe aber: "Eine fristlose Kündigung wegen sechs Maultaschen nach fast 17 Jahren Betriebszugehörigkeit ist in diesem Fall absolut nicht gerechtfertigt."

Der Fall sorgte für Aufsehen. Er gehört zu einer Reihe von Kündigungen wegen vermeintlicher Bagatelldelikte, die in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden. Die Richter der ersten Instanz sowie die Spitalstiftung als Arbeitgeberin mussten sich öffentlich kritisieren lassen.

Wasserdicht ist der Vergleich noch nicht: Der von Kommunalpolitikern besetzte Stiftungsausschuss des Pflegeheims muss ihm noch zustimmen. Sollte er dies nicht tun, würde das Landesarbeitsgericht die fristlose Kündigung für rechtswidrig erklären, sagte Tillmanns. Die gekündigte Altenpflegerin müsste dann weiter beschäftigt werden.

Kulinarisch abgewinnen konnte der Richter dem Fall nichts. "Ich bin Rheinländer», sagte er. «Ich esse Frikadellen stets ohne Mantel."

 

dpa