Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reist am Montag zu einem politisch brisanten zweitägigen Besuch in die Türkei. In Ankara kommt sie mit Staatspräsident Abdullah Gül und Regierungschef Recep Tayyip Erdogan zusammen. Zu den Themen gehören die schleppenden Beitrittsverhandlungen zwischen der Europäischen Union (EU) und dem NATO-Partner Türkei, die Lage in der Region mit Blick auf den Iran und Israel sowie der schwierige Versöhnungsprozess der Türkei mit Armenien. Morgen (Dienstag) besucht Merkel Istanbul. Es ist ihre zweite Türkei-Reise als Kanzlerin. Schon bei ihrem Besuch im Oktober 2006 waren die EU-Beitrittsverhandlungen das Hauptthema.
Merkel werde deutlicher als bisher für eine Annäherung der Türkei an die EU eintreten, berichtet die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" (Montag) unter Berufung auf Quellen im Kanzleramt. Merkels Idee einer "privilegierten Partnerschaft" sei lange missgedeutet worden als Ausrede, um eine EU-Vollmitgliedschaft zu bremsen. Tatsächlich aber gehe es darum, die Türkei ungeachtet langwieriger Verfahrensfragen schon jetzt näher an Europa zu binden. Als denkbar gelte, dass die EU in Visumsangelegenheiten den Türken entgegenkommt. Ankara strebt eine Visumsfreiheit an.
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) warnte vor einem schnellen EU-Beitritt der Türkei. "Entscheidungen dürfen keinesfalls im Hauruck-Verfahren gefällt werden. Wir sehen im Moment im Falle Griechenlands, vor welchen Herausforderungen die EU steht. Damit verbietet sich eine schnelle Erweiterung", sagte er dem "Handelsblatt" (Montag). Er halte "eine privilegierte Partnerschaft noch immer für das beste Angebot, das Deutschland der Türkei machen kann".
Kritik von den Grünen
Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir sagte der "Süddeutschen Zeitung", Merkel investiere nichts in die Beziehungen zur Türkei. Sie vergeude so die Chance, mit ihrem Besuch die Rolle der Türkei als Friedensvermittler im Nahen Osten zu stärken. Özdemirs Co-Vorsitzende Claudia Roth warf Merkel vor, nicht entschieden genug für die Integration von Migranten einzutreten. "Es reicht nicht aus, großspurig vor ihrer Abreise in die Türkei anzukündigen, die Bundeskanzlerin aller türkischstämmigen Menschen in Deutschland sein zu wollen, gleichzeitig aber der Türkei die Beitrittsperspektive in die EU zu verweigern", sagte sie der Zeitung "Die Welt". Das Ziel müsse die Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU sein.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) lobte die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und der Türkei, forderte aber zugleich bessere Rahmenbedingungen. DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann sagte der "Berliner Zeitung" (Montag), wirtschaftlich gehöre die Türkei bereits zu Europa. "Die Wirtschaft braucht offene Märkte, und tatsächlich ist die Türkei durch die Zollunion mit der EU wirtschaftlich schon weiter integriert, als allgemein wahrgenommen wird." Wichtig wären substanzielle Reiseerleichterungen für die türkischen Partner, sagte Driftmann. Nach DIHK-Angaben sind fast 4.000 deutsche Unternehmen mit einer Niederlassung oder eigenem Kapital in der Türkei vertreten. Umgekehrt sei Deutschland für die Türkei der größte Handelspartner.