Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) ist nach Informationen des "Handelsblatts" nun doch bereit, für das energiepolitische Gesamtkonzept auch mit längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke bis zu 28 Jahren rechnen zu lassen. Bei einem Gespräch mit Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) habe Röttgen sich bereiterklärt, auf diesen Kurs einzuschwenken, berichtet das Blatt (Freitag) unter Berufung auf Regierungskreise. Noch am Mittwoch hatte Röttgen gesagt, es gehe um eine Verlängerung von "maximal 20 Jahren". Er hatte sich zunächst dafür eingesetzt, die Regellaufzeit von 32 Jahren um höchstens 8 Jahre zu verlängern. Das Energiekonzept, das im Herbst vorliegen soll, dient der Bundesregierung als Basis für die energiepolitischen Weichenstellungen der nächsten Jahre.
Laufzeitverlängerung: "Eine Frage der Sicherheit"
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) pochte im "Handelsblatt" auf ein Mitspracherecht der Bundesländer bei der Laufzeit-Frage. "Natürlich ist zur Verlängerung der Laufzeiten ein Gesetz notwendig, und dafür ist auch eine Mehrheit im Bundesrat nötig. Die Länder müssen einer Laufzeitverlängerung also zustimmen", sagte Rüttgers.
Der NRW-Regierungschef, dessen schwarz-gelbe Koalition in Düsseldorf derzeit keine Mehrheit erwarten kann, stützte den in der CDU umstrittenen Atom-Kurs von Umweltminister Röttgen. Längere Laufzeiten seien nicht einfach nur eine Frage der Gegenleistung durch die Atomkraftwerksbetreiber. "Kernenergie hat in Deutschland keine hohe Akzeptanz. Deshalb hat der Bundesumweltminister Recht, wenn er sagt, dass sich die Entscheidung über die Laufzeitverlängerung aus der Frage der Sicherheit und der Frage des künftigen Energie-Mixes ableiten muss und nicht aus einer Gegenleistung", sagte Rüttgers.
Union prüft bis zu 28 Jahre längere Atomlaufzeit
Die Union will auf Druck ihrer Wirtschaftspolitiker eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke von bis zu 28 Jahren prüfen lassen. CDU/CSU-Politiker bestätigten am Dienstag in Berlin eine entsprechende Bitte des Fraktionsvorstandes an die Regierung. Auch wenn es sich zunächst nur um Modell-Rechnungen im Rahmen des für den Herbst geplanten nationalen Energiekonzepts handelt: Die Union entfernt sich damit von der von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) ins Spiel gebrachten Laufzeitverlängerung von "nur" etwa acht Jahren bis 2030.
Eine Verschiebung des Atomausstiegs um 28 Jahre auf das neue Endjahr 2050 brächte den Konzernen Eon, RWE, Vattenfall und EnBW über Jahre Milliarden-Zusatzgewinne für steuerlich längst abgeschriebene Anlagen. Schwarz-Gelb will davon aber einen großen Teil abschöpfen, um vor allem Speichertechnologien bei Öko-Energien voranzubringen. Kritik kam aus der Opposition und von Umweltschützern. Nach dem noch gültigen Atomgesetz soll der Atomausstieg bis 2022 vollzogen werden.
Mögliche Szenarien für das Energiekonzept
Nach einer Sitzung des Koalitionsausschusses betonten CSU- Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich und der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Peter Altmaier (CDU), zur tatsächlichen Laufzeitverlängerung sei noch nichts beschlossen. Die Wirtschaftspolitiker hätten jedoch eingeräumt, dass die Szenarien für das Energiekonzept bei 28 statt bisher 20 Jahren enden sollten, sagte Friedrich. "Ich denke, das ist richtig."
Die von der Bundesregierung geplanten Alternativ-Berechnungen dienen der Ermittlung der künftigen Anteile von Atom-, Kohle- und Ökostrom zur Sicherung der Energieversorgung (Energiemix). Röttgen, Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) und Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) hatten sich für die nötigen Modellrechnungen zuletzt auf Laufzeitverlängerungen von 5, 10, 15 und 20 Jahren verständigt.
"Längere AKW-Laufzeiten lösen kein Problem"
Bei einer längeren Laufzeit von 28 Jahren würde sich die nach dem Atomgesetz angenommene Regellaufzeit für Reaktoren im Extremfall von 32 auf 60 Jahre verlängern. Auch FDP-Umweltsprecher Michael Kauch sagte auf dpa-Anfrage: "Die Rechnung von Szenarien ist keine Vorentscheidung. In der Koalition ist vereinbart, dass die Kernkraft nur eine Brücke in das regenerative Zeitalter sein soll.
Die atompolitische Sprecherin der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl, forderte die Union auf, ihre Pläne noch einmal zu überdenken. "Dann käme sie vielleicht zu der Erkenntnis, dass längere AKW-Laufzeiten kein einziges Problem lösen, aber unzählige schaffen." Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) warf der CDU/CSU vor, mit längeren Atomlaufzeiten die Modernisierung der Energieversorgung zu blockieren. Bis Mitte des Jahrhunderts sei ein Umstieg auf 100 Prozent Öko-Energien nötig, sagte BUND-Chef Hubert Weiger. Solche Investitionen würden jedoch durch die Laufzeitverlängerung verhindert. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin kündigte wie zuvor die SPD-Führung die Teilnahme an Antiatom-Aktionen im April an.