Stiller Feiertag: Kein Tanz an Karfreitag
Karfreitag ist der "stillste Feiertag" in Deutschland. In allen Bundesländern gilt das "Tanzverbot". Ganz so still ist es aber nicht. Kinos und Clubs öffnen vielfach doch ihre Türen.
25.03.2010
Von Henrik Schmitz

Karfreitag ist der stillste Tag im Jahr. In allen Bundesländern gilt das so genannte "Tanzverbot". Tanzveranstaltungen sind an diesem Tage nicht gestattet, aber auch viele andere Veranstaltungen, die unter die Kategorie "Vergnügen" fallen, sind an Karfreitag je nach Landesgesetz nicht erlaubt, darunter Sportveranstaltungen oder Konzerte. Zudem dürfen in mehreren Bundesländern in Kinos nur Filme gezeigt werden, die eine so genannte Feiertagsfreigabe haben. Auch an Theatern und Opernbühnen soll es an Karfreitag stiller zugehen. Alles, was zu sehr nach Unterhaltung und zu wenig nach Kunst riecht, ist nicht erlaubt. Komödien und Operetten verbieten sich daher eigentlich. Nur Berlin schränkt das "Tanzverbot" an Karfreitag ein wenig ein. Dort gilt es nur von 4 bis 21 Uhr.

Abgeleitet wird das "Tanzverbot" aus Artikel 140 des Grundgesetzes. Darin heißt es mit Verweis auf Artikel 139 der Weimarer Verfassung von 1919: "Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt." Geregelt ist das "Tanzverbot" in den verschiedenen Landesgesetzen, in denen die Bestimmungen zu den "stillen Tagen" festgelegt sind. Dazu zählen neben Karfreitag je nach Bundesland unter anderem auch der Aschermittwoch, Gründonnerstag, Ostersonntag, Allerheiligen oder der Heilige Abend. Die Regelungen, die Karfreitag betreffen, sind dabei aber besonders streng. In Bayern etwa sind Gaststätten an Karfreitag - und nur dann! - "musikalische Darbietungen jeder Art" verboten. In mehreren Landesgesetzen findet sich auch sinngemäß die Formulierung, verboten seien "andere der Unterhaltung dienende öffentliche Veranstaltungen, wenn nicht ein überwiegendes Interesse der Kunst, Wissenschaft, Volksbildung oder Politik vorliegt."

Nicht ganz so still

Ganz so still ist es an Karfreitag aber dennoch nicht, stellt Julia Helmke, Beauftragte für Kunst und Kultur im Haus der kirchlichen Dienste in Hannover, fest. "Bei einem Blick in den Veranstaltungskalender meiner Stadt ist das 'Tanzverbot' an einem 'stillen Feiertag' wie dem Karfreitag nur noch bedingt eingehalten und erodiert ja auch von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich stark", sagt sie. So finde in Hannover etwa der "Choreographenwettbewerb" in der Staatsoper ebenso statt wie die Werbung für das Konzert einer bekannten Popband. Und natürlich öffneten auch die angesagtesten Clubs ihre Türen. "Wenn auch teilweise mit thematischen Angeboten wie 'Erweckungspredigt XXL' und 'Klosterbräu mit anschließendem Klingelbeutel kreisen'."

Was als "Tanzveranstaltung" gilt und wo ein überwiegendes Interesse der Kunst vorliegt, scheint zumindest aus Sicht verschiedener Veranstalter ein dehnbarer Begriff zu sein. "Wir haben auch an Karfreitag eine Aufführung", sagt etwa Felix Schnieder-Henninger, Sprecher der Deutschen Oper in Berlin. "Die Zauberflöte" von Mozart fällt dort offenbar nicht in die Kategorie Unterhaltung, ebenso wenig wie Verdis "La Traviata" in der Komischen Oper Berlin oder Wagners "Parsifal" an der Deutschen Oper am Rhein (Düsseldorf). "Parsifal" hat sich inzwischen sogar zu einem echten Karfreitags-Klassiker entwickelt, obwohl gerade diese Oper als unchristlich gedeutet werden kann, weil in ihr der Abendmahlsgedanke durch Wagner ins Gegenteil verkehrt wird. Das Schauspiel Stuttgart präsentiert an Karfreitag den "Kirschgarten" von Tschechow und nicht nur in Hannover, sondern auch in anderen Städten haben berühmte Clubs durchaus geöffnet. Etwa das durch den Roman von Helene Hegemann bekannt gewordene "Berghain" in Berlin oder der Techno-Tempel "Cocoon Club" in Frankfurt am Main.

Kinofilme laufen

Wer Unterhaltung und Zerstreuung sucht, wird an Karfreitag also durchaus fündig. Auch für die Kinos sind die nötigen Feiertagszulassungen der Filme kein Problem. Die Bedeutung der Feiertagszulassung sei gering, sagt etwa Georg Welles vom Multiplexbetreiber UCI. "Ich selbst kann mich an keinen Fall in den letzten Jahren erinnern." Und tatsächlich wurde seit 2005 bei rund 2.000 durch die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) geprüften Filmen nur 18 Streifen die Feiertagszulassung verweigert. Betroffen waren vor allem Horrorfilme wie "Hanibal" oder "My Bloody Valentine". "Zu bedenken ist, dass ein Kino ein abgeschlossener Raum ist. Wer sich für einen Film entscheidet, tut dies sehr bewusst", begründet Stefan Linz, warum die Feiertagsfreigabe eher die Regel als die Ausnahme ist.

Für die Kulturbeauftragte Helmke ist dies dennoch eine verpasste Chance. Für sie ergeben sich Feste gerade auch aus dem Kontrast zu den stillen Tagen. "Ohne stille Tage keine lauten und rauschenden Feste und Vergnügungen, ohne Karfreitag kein Ostern", sagt sie. Karfreitag sei der Tag, an dem sich die Welt unterbreche. "Für einen Tag im Jahr. Wo Mensch und Gott, Leben und Tod, Leiden, Schmerz und die Hoffnung auf Erlösung zusammenkommen. Einen Tag im Jahr, das würde ich mir und meiner Stadt wirklich gönnen. Und deshalb brauchen wir auch heute noch das so genannte Tanzverbot, das ja in Wirklichkeit meint: an diesem Tag kommt das besinnungslose Vergnügungskarussell, das mir (scheinbare) Entlastung verspricht, die kleine Flucht vom Alltag, mit Flatline Trinken und betäubender Musik, für einen Tag zum Stehen. Einen kurzen Tag lang. Das gilt es nicht zu opfern." Für sie als Christin bedeute Karfreitag, "in einer stilleren Stadt selbst stiller zu mir zu werden", sagt Helmke. "Um mich an das Sterben und den Foltertod des Gottessohnes zu erinnern, und mich einen Tag lang dem Leiden zu stellen und daraus das Leben zu gewinnen."

Keine Komödie

Die  etwas laxe Freigabe von Kinofilmen für Feiertage bedauert Helmke. "Sogenannte Komödien, die nur über Anal-Humor funktionieren und das Scham-Lachen aktivieren gehören für mich in die gleiche Kategorie wie Horrorschocker, die über das Lustschaudern an der fiktionalen Gewalt - und leider in der Welt so wirklichen und unmenschlichen Gewalt - die Flucht vor sich selbst ermöglichen. Auch hier wäre für mich die Parole: Auslassen, um hinzuschauen. Unterbrechen, um innezuhalten. Einen kurzen Tag lang. Um Gottes und der Menschen willen."

Immerhin: Es gibt durchaus auch Theater, die an Karfreitag ganz die Pforten schließen. So kommt etwa im berühmten Millowitsch-Theater in Köln der Schwank in zwei Akten "Wenn im Puff dat Licht ausjeht" an Karfreitag nicht zur Aufführung. Peter Millowitsch sieht das Tanzverbot gelassen: "So lange ich denken kann war Karfreitag spielfrei. Ob zeitgemäß oder nicht: über einen freien Tag freut sich doch jeder."