Studierende geraten immer öfter in Geldnot
Jeder fünfte Studierende in Deutschland befindet sich in einer akuten "Finanzierungslücke". Die rechtliche Situation der Betroffenen ist gar nicht so schlecht. Doch Schuldnerberatungen gibt es an Universitäten bisher kaum.
25.03.2010
Von Stephanie von Selchow

Eigentlich sollte es hier um einen authentischen Fall gehen. Beispielsweise um eine Sarah oder einen Tom, die studieren, in einer Wohngemeinschaft wohnen, ein bisschen Unterstützung von ihren Eltern kriegen. Weil sie aber wegen ihres Studiums so viel um die Ohren haben, können sie nur ein paar Stunden nebenher arbeiten. Statistisch gesehen brauchen sie für Miete, Fahrtkosten, Bücher, Essen rund 699 Euro pro Monat, wie das Deutsche Studentenwerk errechnet hat. Leider kommen sie aber nur auf 600 Euro. Wenn dann etwas Unvorhergesehenes passiert, ist das Konto schnell in den roten Zahlen. Und zwar dauerhaft.

40 Prozent der Studierenden haben laut Deutschem Studentenwerk Probleme, ihr Studium zu finanzieren. Fast jeder fünfte Studienabbrecher nannte in einer Studie des Hochschul-Informations-Systems Geldsorgen als Grund für seinen Abbruch. Doch über ihre Schulden reden wollen sie nicht, zumindest nicht, wenn ihre Geschichte abgedruckt werden soll. Zu groß die Scham, denn in den Miesen zu stecken, ist unter den angehenden Akademikern ein Tabuthema.

Unterstützung durch Familie nicht gesichert

Helmut Rauchholz vom Diakonischen Werk Dortmund arbeitet als Schuldenberater für das Studentenwerk Dortmund. Bereits seit dem Jahr 2001 gibt es hier eine professionelle Schuldnerberatung. Drei Viertel der Studenten, die sich von Rauchholz beraten lassen, kommen aus dem Ausland. "Oft ist die Unterstützung durch die Familie nicht gesichert oder die Überweisungen kommen zu spät an", erklärt Rauchholz. Typischerweise kommen oft hohe Handyrechnungen hinzu und Abrechnungen für gleich mehrere Kreditkarten. "Da kann man schnell die Miete nicht mehr zahlen."

Ausgewiesene Schuldnerberatungen gibt es an den Universitäten kaum. Doch alle Studentenwerke bieten Unterstützung rund um Finanzierungsfragen an. Der Bedarf ist da: Rund 72.000 Sozialberatungen gab es im Jahr 2008. Im Mittelpunkt standen die Beratung ausländischer Studenten, die Themen "Studieren mit Kind" und Studienfinanzierung. Gerade bei den Bachelor-Studiengängen bleibt immer weniger Zeit, nebenbei zu arbeiten. Ganz abgesehen davon, dass Nebenjobs für Studenten im Zuge der Wirtschaftskrise rarer werden.

Studiengebühren sind ein Grund

Auch Studiengebühren, die es in einigen Bundesländern gibt, machen die Sache nicht leichter. Sind sie älter als 25 Jahre, müssen Studenten sich zudem selbst krankenversichern. Zu Rauchholz kommen deshalb auch viele Studierende, die zwar noch keine Schulden haben, aber nicht wissen, woher sie künftig das Geld für ihr Studium nehmen sollen.

25 Prozent der Studenten erhalten die staatliche Ausbildungsbeihilfe BAföG, 90 Prozent werden mit durchschnittlich 448 Euro pro Monat von ihren Eltern unterstützt, zwei Prozent bekommen Geld über ein Stipendium, 63 Prozent verdienen sich was dazu. Das von Bund und Ländern getragene Hochschul-Informations-System hat dazu eine Umfrage unter rund 4.700 Studierenden in Auftrag gegeben. Jeder fünfte gab an, er sei in einer akuten "Finanzierungslücke", etwa nachdem der BAföG-Antrag abgelehnt wurde.

In diesen Fällen bieten sich Bildungs- und Studien- sowie Studiengebührenkredite von Bund und Ländern an. In der Regel müssen diese Kredite erst zurückgezahlt werden, wenn man nach dem Studium in Lohn und Brot steht. Beim Studienkredit der KfW-Förderbank beispielsweise gibt es eine Schonfrist von 23 Monaten, anschließend sollte man innerhalb von zehn Jahren die Raten zurückgezahlt haben, möglich sind sogar bis zu 25 Jahre.

Hinzu kommt der Leistungsdruck

Zur finanziellen Misere kommt der Leistungsdruck im Studium, oft auch Stress mit dem Partner oder der Familie. "Betroffene sollten auf jeden Fall zur psychosozialen Beratung gehen, um sich auch von dieser Stelle den Rücken stärken zu lassen", rät Rauchholz.

Für die meisten ist es aber schon eine Erleichterung, in der Schuldnerberatung über ihre rechtliche Situation aufgeklärt zu werden. Denn die ist gar nicht so schlecht. Eine ledige, nicht unterhaltspflichtige Person ist bis zu 990 Euro netto im Monat unpfändbar. Das heißt, so viel steht ihr auf jeden Fall zu, um ihre Existenz zu sichern. Das muss man jedoch nachweisen. Ansonsten können Gläubiger, die ein Mahnverfahren eingeleitet haben, das in einen Vollstreckungsbescheid mündete, nach einer Sperrfrist von 14 Tagen das Konto pfänden.

Wer sich traut, kann auch erst mal mit Eltern oder Verwandten reden und sie bitten, zunächst für die Schulden aufzukommen. "Wer Schulden hat", sagt Helmut Rauchholz, "sollte sich so schnell wie möglich Hilfe suchen. Abwarten macht alles nur noch schlimmer: finanziell und seelisch."

epd