Eine parteiübergreifende Spitzengruppe von Politikern aus Bund und Ländern hat sich am Mittwochabend in Berlin abschließend auf eine Grundgesetzänderung zum Erhalt der Jobcenter verständigt. Damit geht eine lange Auseinandersetzung um die Betreuung von rund 6,8 Millionen Hartz-IV-Empfängern zu Ende. Der Gesetzentwurf soll nach Ostern vom Kabinett und noch vor der Sommerpause von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden. Die Vermittlung und Betreuung von Langzeitarbeitslosen wird damit ebenso wie die Sicherung des Lebensunterhalts auch künftig aus einer Hand erfolgen.
Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) äußerte sich erleichtert über den Kompromiss. "Wäre eine Einigung nicht zustande gekommen, hätte das nach dem 31. Dezember 2010 ein schieres Durcheinander bedeutet", sagte der Verhandlungsführer der unionsgeführten Länder der "Berliner Zeitung" (Donnerstag). "Dem konnte sich in den Gesprächen niemand entziehen. Der Erfolgsdruck war hoch." Tillich wies die Kritik der Linkspartei, der Kompromiss führe zu einem Flickenteppich in der Betreuung von Langzeitarbeitslosen, zurück. "Das ist Unfug. Das System wird transparenter", sagte er.
Jobcenter bleiben erhalten
An dem abschließenden Treffen am Ende langer Verhandlungen nahmen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), für die Länder der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) und sein rheinland-pfälzischer Kollege Kurt Beck (SPD) sowie die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Volker Kauder (CDU), Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Birgit Homburger (FDP) sowie der Chef der CSU-Landesgruppe, Hans-Peter Friedrich, teil. Der Kompromiss war von einer Arbeitsgruppe aus Bund-, Länder- und SPD-Vertretern ausgehandelt worden. Er sieht vor, dass die bundesweit 346 Jobcenter erhalten bleiben können. Dafür muss das Grundgesetz geändert werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Mischverwaltung in den Jobcentern als verfassungswidrig verworfen und bis Ende 2010 eine neue Lösung verlangt.
Zugleich sollen künftig mehr Kommunen die Betreuung der Langzeitarbeitslosen in eigene Regie übernehmen können. Derzeit gibt es 69 sogenannte Optionskommunen. Die Unionsseite wollte eine Öffnung ohne Obergrenze, die SPD setzte eine Begrenzung auf 25 Prozent aller Jobcenter oder 110 Optionskommunen durch. Die gemeinsame Betreuung durch Kommunalbehörden und Arbeitsagenturen in den Jobcentern soll die Regel bleiben.
Zusätzlich 900 Millionen Euro für Arbeitsförderung
Die sogenannten Optionskommunen hingegen kümmern sich allein in kommunaler Regie um die Hartz-IV-Empfänger. Besonders der Landkreistag hatte sich für eine Ausweitung dieses Modells stark gemacht. Jobcenter und Optionskommunen sollen sich künftig an den gleichen Zielvereinbarungen orientieren, was einer Verschärfung der Finanzaufsicht über die Optionskommunen gleichkommt. Bund und Kommunen bringen pro Jahr rund 50 Milliarden Euro für die Betreuung der Langzeitarbeitslosen und ihrer Familien auf. Etwa zwölf Millionen Euro entfallen auf die Kommunen.
Teil des Verhandlungsergebnisses ist auch, dass die von den Regierungsfraktionen Union und FDP verhängte Sperre über 900 Millionen Euro für die Arbeitsförderung in diesem Jahr aufgehoben werden soll. Dies werde baldmöglichst im Haushaltsausschuss des Bundestages beantragt werden, hieß es aus der SPD-Fraktion. Weiter sollen die Zusagen auf Aufstockung und Entfristung des Personals in den Jobcentern eingelöst werden.
Zeit bis Jahresende
Das Bundesverfassungsgericht hatte dem Gesetzgeber bis Ende dieses Jahres Zeit für eine Neuorganisation der Jobcenter gegeben. Nach dem Regierungswechsel hatte die Koalition zunächst vereinbart, die Jobcenter wieder in Kommunalbehörden und Arbeitsagenturen aufzuspalten und lediglich Verträge über eine enge Kooperation zu ermöglichen.
Dagegen hatten die Länder ein Veto eingelegt und eine Grundgesetzänderung zum Erhalt der Jobcenter gefordert. Daraufhin hatte von der Leyen Verhandlungen mit den Ländern und der SPD aufgenommen. Für eine Grundgesetzänderung wird die SPD mit ins Boot geholt, da eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich ist.
Geteilte Reaktionen
Der Nationale Normenkontrollrat begrüßte die Einigung. "Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat unnötige Bürokratie verhindert", erklärte der Ratsvorsitzende Johannes Ludewig. Die ursprünglich beabsichtigte Auflösung der Jobcenter hätte nach Einschätzung des Normenkontrollrates für Millionen von Menschen zu immensen Mehrbelastungen geführt. "Jeder Betroffene hätte zwei Behörden aufsuchen und zwei Anträge stellen müssen, um eine Leistung zu erhalten. Aus ökonomischer Sicht auf jeden Fall nicht empfehlenswert", sagte Ludewig in einer Mitteilung. Der Normenkontrollrat unterstützt die Bundesregierung beim Bürokratieabbau.
Kritik an der Übereinkunft kam hingegen vom Erwerbslosen-Forum Deutschland. Der Verband attackierte besonders heftig die Sozialdemokraten. "Die SPD macht nun abermals einen anbiedernden Hofknicks vor Roland Koch und anderen Hardlinern in der Union und verrät Erwerbslose, indem sie es zulässt, dass nun Arbeitslose erster und zweiter Klasse verfassungsgemäß werden", erklärte Forums-Sprecher Martin Behrsing am Donnerstag in Bonn mit Blick auf die Ausweitung der sogenannten Optionskommunen. Damit würden die "Arbeitslosen zweiter Klasse" für kommunale Eigeninteressen missbraucht.