Die Wahrheit über Polit-Talkshows
Talkshows wie die von Anne Will oder Maybrit Illner sind bei Politik und Wählern beliebt. In einem amüsantem Buch erfährt der Leser nun, was hinter den Kulissen der "Quasselrunden" vor sich geht.
23.03.2010
Von Martin Weber

Für Politiker, die sich in Talkshows übergangen fühlen, hat Andrea Nahles einen einfachen Tipp: Grimassen schneiden. "Dies verschafft einen Kameraschwenk oder sogar zusätzliche Redeminuten. Jedenfalls hilft die Strategie bei Talkshows mit mehr als zwei Gästen sehr", schreibt die SPD-Generalsekretärin in dem Buch "Polit-Talkshows – Bühnen der Macht". Das von dem Koblenzer Medienforscher Sascha Michel und dem Marburger Sprachwissenschaftler Heiko Girnth herausgegebene Buch wirft einen Blick hinter die Kulissen des Talkshowbetriebs, indem es Macher und Beteiligte zu Wort kommen lässt – allesamt erfahrene Veteranen, die schon zahlreiche Redeschlachten geschlagen haben und die Mechanismen von Polit-Talkshows wie "Anne Will", "Hart aber fair" oder "Maybrit Illner" genau kennen.

Neben Andrea Nahles äußern sich Politiker wie FDP-Mann Wolfgang Gerhardt oder Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), Moderatoren wie Wolfgang Herles oder Hajo Schumacher und Medienexperten wie Jo Groebel oder Volker Lilienthal.

Aus dem Nähkästchen

Das gut 200 Seiten starke Büchlein bietet zwar kaum Neues, was Wesen und Funktion der Talkshow betrifft und langweilt mitunter mit wenig überraschenden Einsichten wie der, dass viele Politiker Talkshows schätzen, weil sie dort weit effektiver als im Parlament oder bei einer Wahlkampfveranstaltung ihre Botschaft unters Volk bringen können. Es punktet aber dort ganz gewaltig, wo die Beteiligten aus dem Nähkästchen plaudern und von ihren Erfahrungen mit dem Talkshowbetrieb berichten. So gilt beispielsweise cool bleiben als oberstes Gebot: Der Medienpsychologe Jo Groebel beobachtet in Talkshows häufig "gleichmütige, scheinbar desinteressierte Gesichter, wenn gerade ein anderer spricht", der Kabarettist Bruno Jonas singt in seinem satirischen Beitrag ein Loblied auf die Gelassenheit und empfiehlt Politikern außerdem, die Opferrolle einzunehmen: "Die Zuschauer werden dich dafür lieben, weil du das Opfer bist. Mit dem Opfer hat man Mitleid, selbst wenn das Opfer ein übler Strizzi ist."

Dabei ist es wohl nicht immer leicht, die coole Attitüde beizubehalten, denn Talkshows sind auch für erfahrene Volksvertreter mitunter ein ganz schöner Stress, wie Wolfgang Gerhardt zu berichten weiß. Die "Kommunikationssituation" in einer solchen Sendung sei "oftmals recht angespannt", schreibt der FDP-Politiker: "Alle reden gleichzeitig, aber nicht miteinander. Man bekommt keine Gelegenheit, auf direkte Angriffe einzugehen, weil die Reihenfolge eingehalten werden muss und man selbst doch eben noch dran war. Der Nebenmann hört einfach nicht auf zu reden, und das sorgfältig zurechtgelegte eigene Argument auf die vorangegangene Ausführung verpufft."

Schlüssige Dramaturgie

Unter Stress stehen aber auch die Diskussionsleiter, wie Wolfgang Herles, seit zehn Jahren Moderator des ZDF-Kulturmagazins "Aspekte", in seiner Abrechnung mit Talkshows schreibt, weil sie ständig darauf achten müssen, dass die Sendung eine schlüssige Dramaturgie entfaltet: "Sie haben dafür zu sorgen, dass ihre Gäste nicht lange am Stück reden, sie kümmern sich darum, dass alle Gäste (meist sind es zu viele) ins Spiel kommen und machen witzige Einwürfe. Originalität geht vor Qualität. Der Wahrheit auf die Sprünge zu helfen ist nicht ihre erste Aufgabe." Sowieso zeigen Polit-Talkshows oft ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit, wie der in vielen Sendungen als Experte eingeladene Mainzer Wahlforscher Jürgen W. Falter in Bezug auf den Umgang von Politikern miteinander beobachtet hat: Die meisten seien "viel umgänglicher, wohlerzogener und rücksichtsvoller, als es bei eingeschaltetem Mikrofon und vor laufender Kamera erscheint", schreibt Falter in seinem Beitrag. Wer sich gerade noch in der Talkshow von Anne Will oder Maybrit Illner verbal geprügelt hat, steht nach der Sendung oft einträchtig beieinander und scherzt bei Wein und Häppchen.

Falter, der oft in der 2007 eingestellten Talkshow "Sabine Christiansen" zu Wort kam und den ein Vertrauter der Talklady wegen eines missliebigen Interviews zum Ende der Sendung von der Abschiedsparty wieder ausgeladen haben soll, hat aber auch schon das gegenteilige Phänomen beobachtet: "So stellte ich beispielsweise einmal fest, dass vor und nach einer Sendung zwei Parteifreunde vom linken und rechten Flügel einer damals noch recht großen Volkspartei sich geflissentlich aus dem Wege gingen, in der Sendung aber wacker zueinander standen."

(Sascha Michel/ Heiko Girnth: Polit-Talkshows – Bühnen der Macht. Ein Blick hinter die Kulissen, Bouvier-Verlag Bonn, 207 Seiten, 18,90 Euro).


Martin Weber ist freier Journalist in Berlin