Diabetiker-Hunde: Alarmanlagen auf vier Pfoten
Im Ernstfall schlagen sie Alarm: Diabetiker-Warnhunde können riechen, wenn ein Diabetiker vom Typ I über- oder unterzuckert ist. In Deutschland steckt die Ausbildung noch in den Anfängen.
23.03.2010
Von Silke Katenkamp

Zum Lebensretter wurde Wolfspitz Bella an einem Sonntagmorgen um halb fünf. Seine Hündin, die ansonsten lieb und friedlich sei, habe ihn plötzlich angefallen, als er schlafend mit seiner Frau im Bett lag, erzählt Besitzer Felix Müller. "Sie hat mich am Arm und am Bauch gekratzt, bis es weh tat." Zuerst habe er genervt reagiert. Doch dann maß Müller, der Diabetiker ist, seinen Blutzuckerwert. Das Ergebnis: Der 42-Jährige stand kurz vor der Unterzuckerung, eine Ohnmacht drohte. Weil Bella das gerochen hat, konnte Müller rechtzeitig Traubenzucker essen. "Hätte ich einfach weitergeschlafen, hätte ich nichts gemerkt. Bella hat mir vermutlich das Leben gerettet."

Es droht Bewusstlosigkeit, schlimmstenfalls Koma

Bella ist ein Diabetiker-Warnhund. So nennen Fachleute Hunde, die riechen können, wenn ein Diabetiker vom Typ I über- oder unterzuckert ist. Das zeigt etwa eine Studie der Queen's Universität in Belfast aus dem vergangenen Jahr. Von 212 untersuchten Hunden reagierten zwei Drittel bei einer Unterzuckerung ihrer Besitzer, sprangen sie an, stupsten mit der Nase oder leckten Gesicht und Hände.

Müller ist seit seinem zwölften Lebensjahr Typ-1-Diabetiker, bei der der Körper das lebenswichtige Hormon Insulin nicht mehr produziert. Der 42-Jährige muss deswegen sein Leben lang Insulin spritzen und mehrmals am Tag seinen Blutzuckerspiegel messen. Macht er dabei einen Fehler oder erkennt die Symptome nicht rechtzeitig, kann er bewusstlos werden, schlimmstenfalls ins Koma gleiten. "Die Angst, dass etwas passieren könnte, ist unterbewusst ständig da", sagt er.

Teure Ausbildung

In den USA werden deswegen Hunde seit Jahren dazu abgerichtet, im Ernstfall Alarm zu schlagen. In Deutschland steckt die Ausbildung noch in den Anfängen. An einer Hundeschule in Osnabrück werden bis zum Sommer die ersten 20 Diabetiker-Warnhunde ihre Ausbildung mit einer Prüfung abschließen.

Weil ihnen das Training dort zu teuer war, haben die Müllers aus dem schleswig-holsteinischen Uelsby ihren Hund Bella selbst ausgebildet. Künftig wollen sie anderen Diabetikern, die das gleiche vorhaben, bei der Ausbildung anleiten. "Das Training funktioniert in etwa wie bei Drogen- oder Spürhunden", erklärt Felix Müllers Ehefrau Anna Sophie. "Wenn sich der Blutzuckergehalt ändert, verändert sich auch der Geruch von Schweiß und Atem." Auf diesen Geruch werden die Hunde abgerichtet.

"Wir haben Kleidung aufgehoben, die mein Mann getragen hat, wenn er unterzuckert war, und sie Bella immer wieder vorgehalten." Bella reagierte - und lernte, bei drohender Gefahr ein Signal zu zeigen. "Im Ernstfall kratzt sie jetzt meinen Mann", sagt Müller. Das darf Bella sonst nicht. Felix Müller vertraut seiner Hündin bedingungslos. Nachts schläft sie in seiner Nähe. Tagsüber kommt Bella so oft es geht mit ins Büro. "Der Hund gibt mir eine unglaubliche Sicherheit."

"Lulu passt ja auf ihn auf"

So geht es auch dem Ehepaar Quaß aus Schwerin. Sohn Arnold, 8, ist seit seinem zweiten Lebensjahr Typ-1-Diabetiker. "Früher bin ich jede Nacht aufgestanden, um nach Arnold zu sehen und seinen Blutzuckerwert zu messen", erzählt Arnolds Mutter Berit. Heute kann die 40-Jährige nachts liegen bleiben. Seit etwa einem Jahr passt Labrador Lulu auf Arnold auf. Die 18 Monate alte Hündin wird zurzeit von Trainern der Osnabrücker Hundeschule zum Diabetiker-Warnhund ausgebildet. Dafür müssen die Quaßs 17.000 Euro zahlen. In wenigen Wochen wird Lulu ihre Prüfung ablegen. Für Arnolds Sicherheit sorgt sie aber schon jetzt.

"Lulu schläft neben Arnolds Bett. Wenn Arnolds Blutzuckerwert zu sehr absinkt, schlägt sie Alarm", sagt Quaß. Nicht nur für die Internistin bedeutet das eine große Entlastung. "Auch für Arnold ist Lulu unheimlich wichtig." Früher habe sie ihren Sohn nirgends allein hingehen lassen. "Wenn Arnold ins Kino geht oder Freunde besucht, kann ich jetzt zu Hause bleiben, ohne mir Sorgen zu machen. Lulu passt ja auf ihn auf."

Damit möglichst viele Diabetiker von dieser Sicherheit profitieren können, wollen die Quaßs dafür sorgen, dass die Kosten für die Ausbildung von Diabetiker-Warnhunden wie für Blindenhunde von der Krankenkasse übernommen werden. Dafür hat Berit Quaß eine Klage beim Sozialgericht in Schwerin eingereicht. Mit einem Erfolg rechnet sie vorerst allerdings nicht: "Bei den Blindenhunden hat der Anerkennungsprozess Jahrzehnte gedauert."

dpa