Als Papst Johannes Paul II. vor zehn Jahren um Vergebung für Vergehen von Christen an Juden, Sinti und Roma sowie anderen gesellschaftlichen Gruppen bat, versuchte der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, ihn zu bremsen. Aus der Überzeugung heraus, dass nur einzelne Christen, nicht aber die als heilig betrachtete Kirche schuldig werden könne, drang der heutige Papst damals auf eine Einschränkung in dem Mea Culpa. In Israel wurde daraufhin Kritik an dem eingeschränkten Schuldeingeständnis laut, die erst mit dem Papstbesuch an der Jerusalemer Klagemauer und in der Gedenkstätte Jad Vaschem im selben Jahr 2000 verstummte.
Zehn Jahre später macht Ratzinger als Papst Benedikt XVI. eine Kehrtwende, indem er erstmals die irische Kirche insgesamt auffordert, ihre Verantwortung einzugestehen, und nicht nur pädophile Geistliche oder Bischöfe, die deren Vergehen vertuschten. In seinem am Samstag veröffentlichten Hirtenbrief betont er zudem erstmals auf höchster kirchlicher Ebene "Reue, die wir alle fühlen".
Ungewöhnlich untheologisch für diesen Papst
In dem Schreiben an die irischen Katholiken verurteilt Benedikt "diese sündigen und kriminellen Taten" in noch schärferer Form als bisher. Aus "fehlgeleiteter Sorge um den Ruf der Kirche und zur Vermeidung von Aufsehen" seien in vielen Fällen nicht die erforderlichen Maßnahmen gegen Kindsmissbrauch ergriffen worden, heißt es in dem Brief, der auch vor dem Hintergrund der Missbrauchsfälle in deutschen und österreichischen Diözesen mit Spannung erwartet wurde. Das Argument vieler Kirchenvertreter, Missbrauch sei nicht ausschließlich ein kirchliches Problem, könne nicht die Tatsache verschleiern, dass kirchliche Institutionen "die sicherste von allen Umgebungen" sein sollte.
Die Opfer der sexuellen Übergriffe bittet Benedikt in seinem Schreiben "demütig", ihn anzuhören. Diejenigen unter ihnen, die den Mut gefunden hätten, Missbrauch offenzulegen, seien vielfach auf taube Ohren gestoßen. Benedikt beschreibt, dass Kinder und Jugendliche in kirchlichen Heimen und Internaten das Gefühl gehabt haben mussten, dass es keinen Ausweg aus ihren Leiden gab. Er wählt dabei Worte, die für den auf theologische Fragen konzentrierten Papst ungewöhnlich sind.
Vorwürfe an die irischen Bischöfe, die über Jahrzehnte Missbrauchsfälle vertuschten, verbindet das Kirchenoberhaupt mit der Aufforderung, weiter mit den Justizbehörden zusammenzuarbeiten. Der Vatikan werde zudem apostolische Visitatoren in besonders stark betroffene irische Diözesen entsenden, um die Lage auf der Ebene der Kirchenführung zu überprüfen.
Schuldeingeständnis macht vor dem Vatikan halt
Fehler der verantwortlichen Priester und ihrer Vorgesetzten führt der Papst nicht zuletzt auf ein falsches Verständnis der Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) zurück. Seine Kritiker werfen ihm immer wieder vor, die Neuerungen des Konzils zurücknehmen zu wollen. In Benedikts Worten handelte es sich nicht um Reformen sondern um eine Fortführung der 2000 Jahre alten christlichen Tradition. Im Umkehrschluss scheint der damalige Konzilstheologe seinen Kritikern nun vorzuwerfen, ihre reformerische Interpretation des Konzils habe zu einem laxen Umgang mit Kindsmissbrauch geführt.
Wenn der Papst in seinem Pastoralschreiben auch unerwartet offen die Mitverantwortung der Kirchenhierarchie für die Pädophilie-Skandale einräumt, so macht sein Schuldeingeständnis doch vor dem Vatikan halt. Es sei die irische Kirche gewesen, die die bestehenden Normen nicht angewandt habe. Die in der vatikanischen Glaubenskongregation zuständigen Kurienmitglieder sind damit vom Vorwurf einer Mitverantwortung freigesprochen.
Auch der Forderung, in allen Ländern eine Pflicht einzuführen, jeden Pädophilie-Verdacht umgehend und ohne vorherige kircheninterne Prüfung den zivilen Strafverfolgungsbehörden zu melden, kam Benedikt nicht nach. Dennoch offenbart der Brief ein wachsendes Bewusstsein für den Vertrauensverlust, den die Kirche angesichts der Missbrauchsfälle hinnehmen muss. Darauf deuten die Schärfe der Vorwürfe gegen die irische Kirche und die Tatsache hin, dass der Papst seinen Brief nicht wie üblich mehrere Wochen nach seiner Unterzeichnung veröffentlichte, sondern nur einen Tag danach.