Mit aller Gewalt: Countdown für Obamas Gesundheitsreform
Mit Spannung sehen die Amerikaner dem Ende der Woche entgegen. Doch ganz gleich wie das Votum ausfällt, es macht sich bereits ein bitterer Beigeschmack bemerkbar.
18.03.2010
Von Antje Passenheim

Final Countdown: für die US-Gesundheitsreform, aber auch für Präsident Barack Obama. Mit Spannung sehen die Amerikaner dem Ende der Woche entgegen, wenn das Parlament die vielleicht bedeutendste Entscheidung in Obamas Amtszeit fällen könnte. Doch ganz gleich wie das Votum ausfällt, es wird bereits von einem bitteren Beigeschmack überlagert: Weil das Kongress-Votum kippelig für die Demokraten wird, wollen sie zu einem Manövertrick greifen und damit die eigentliche Abstimmung umgehen. Die Republikaner sprechen von "Machtmissbrauch", auch bei manchen Demokraten gibt es Unbehagen. Obama mag siegen, meinen viele, aber einen strahlenden Sieger wird es nicht geben.

Obama unbeeindruckt von Kritik

Inmitten eines Streits um parlamentarische Verfahrensfragen hat Obama dazu aufgerufen, die Inhalte seiner Gesundheitsreform in den Mittelpunkt zu stellen. "Ich verbringe nicht viel Zeit damit, mir Sorgen über Verfahrensregeln im Repräsentantenhaus oder Senat zu machen", sagte Obama am Mittwoch dem Fernsehsender FoxNews, kurz vor der geplanten, entscheidenden Abstimmung im Abgeordnetenhaus über die Reform. Die Menschen machten sich eher Gedanken darüber, ob sie ihre Krankenversicherung verlieren oder wegen einer Arztrechnung ihr Haus.

Obama zeigte sich in dem Interview von der Kritik unbeeindruckt. "Was ich sagen kann, ist, dass die Abstimmung im Repräsentantenhaus eine Abstimmung über die Gesundheitsreform sein wird", so der Präsident. "Wenn die Leute mit Ja stimmen, in welcher Form auch immer, wird es ein Votum zugunsten der Gesundheitsreform sein." Entschieden sich die Abgeordneten dagegen, "dann stimmen sie für den gegenwärtigen Zustand." Es gehe nicht darum, welche Folgen die Reform für seine Präsidentschaft habe. "Es geht darum, wie sie sich auf einfache Menschen auswirkt, die verzweifelt Hilfe brauchen."

Der Trick: "Deem and pass"

"Augen zu und durch", so könnte der Trick beschrieben werden, den Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi anwenden will. Weil die vehemente Verfechterin der Obama-Reform um die nötige 216-Stimmen-Mehrheit in der großen Kongresskammer fürchtet, will sie die Abstimmung von vornherein umgehen und nur noch über ein Nebengesetz abstimmen lassen, das haushaltsrelevante Korrekturen des Entwurfs beinhaltet.

"Deem and pass" heißt der Trick, was soviel heißt wie: Für gut befunden und durchgewunken. Winken die Abgeordneten also die Korrekturen durch, billigen sie damit automatisch auch den gesamten umstrittenen Reform-Entwurf. Präsident Obama könnte seine Unterschrift unter das Gesetz setzen, ohne dass es darüber eine wirkliche Abstimmung gegeben hätte.

"Knüppelmethode passt nicht zu Obama"

Als "Schlächter"-Lösung titulieren konservative Kreise diese Methode in Anlehnung an die demokratische Abgeordnete Louise Slaughter (Schlächter), die zu ihren Unterstützern zählt. Sowohl Demokraten als auch Republikaner haben das Verfahren in der Vergangenheit angewendet. "Das ist der größte Machtmissbrauch, den es bisher in Washington gegeben hat", empörte sich der Führer der Republikaner im Abgeordnetenhaus, John Boehner. "Derartige Bösartigkeiten habe ich nicht gehört, wenn die Republikaner dieses (Verfahren) hundertfach angewendet haben", konterte Pelosi.

Vielleicht ist das so, meinen andere. Doch die Knüppelmethode passe nicht zu einem Präsidenten, der Transparenz und demokratische Regierungsführung stets zu seinem Aushängeschild gemacht hat. "Ich glaube, dass wir die Stimmen bekommen, wir werden es möglich machen", sagte der noch zu Beginn der Woche dem Fernsehsender ABC. Doch ein paar Tage später war es immer noch knapp. Nicht nur die Republikaner wehren sich geschlossen gegen den an Weihnachten im Senat verabschiedeten Gesetzentwurf. Nach Berechnungen des Senders CNN gab es zunächst auch unter den Demokraten zunächst rund 20 Abweichler.

Gesundheitsreform wichtiger als Wiederwahl für zweite Amtszeit

Vielen Liberalen ist der Reformentwurf zu teuer, anderen - am linken Rand - geht er nicht weit genug, weil Obama längst von seiner ursprünglichen Variante der staatlichen Krankenkasse abgewichen ist. Abtreibungsgegnern sehen Schlupflöcher für die Kostendeckung für Schwangerschaftsabbrüche. Andere Demokraten finden es unfair, dass der Entwurf den geschätzt zwölf Millionen illegalen Einwanderern in den USA das Recht auf Versicherung abspricht.

Viele Vertreter der angeschlagenen Obama-Partei fürchten um ihren Wahlkreis bei den Zwischenwahlen im November, wenn sie dem umstrittenen Gesetz zustimmen würden. Mit dem "Deem and pass"- Verfahren könnten sie es nun absegnen, ohne selber dafür die Verantwortung zu übernehmen, so die Kritik der Konservativen. "Es gibt keinen Weg, sich hinter dem Votum zu verstecken", meint aber Republikanerchef Boehner.

Schon jetzt sagen Konservative wie Orrin Hatch, Senator aus Utah, den Demokraten "Krieg" voraus, sollte es ihnen gelingen, das Gesetz gegen soviel Widerstand durchzusetzen. Bereits vor Wochen hat Präsident Obama klar gemacht: Die Realisierung seiner Herzenssache, der Gesundheitsreform, ist ihm wichtiger als die Wiederwahl für eine zweite Amtszeit. Obama hat dafür sogar seine Asienreise verschoben. Doch als er Anfang der Woche auf einem Werbefeldzug in Ohio war, klang es fast wie ein Selbstgespräch: "Wir suchen hier noch ein wenig Mut!"

dpa