Der Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes, Georg Cremer, warnt davor, Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik als Gegensätze zu betrachten. "Wir werden die wirtschaftlichen Probleme nur lösen, wenn wir auch die sozialen Probleme lösen", sagte Cremer am Mittwochabend in Stuttgart beim kirchlichen Kongress "Leben in Fülle - Europa sozial und gerecht gestalten". Wenn man ein Sechstel einer Generation ohne Bildungsabschluss lasse, folge darauf nicht nur ein Fachkräftemangel, sondern auch die Notwendigkeit, gering Qualifizierte im Sozialstaat mitzutragen. Sozialverbände sollten sich für eine gute Wirtschaftspolitik einsetzen, weil die soziale Sicherung schließlich auch finanziert werden müsse, betonte Cremer.
Der Bischof der Evangelischen Landeskirche in Baden, Ulrich Fischer, sieht eine "gewaltige Erosion" der sozialen Marktwirtschaft in Europa. Sozialpolitik sei fast nur noch der Reparaturbetrieb für das, was im Wirtschaftssystem angerichtet worden sei. In Teilen der EU sei die soziale Marktwirtschaft nicht sehr bekannt, es herrsche mancherorts eher neoliberales Denken vor, bedauerte Fischer.
Der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, kritisierte die gesellschaftliche Tendenz, Bildung und Erziehung immer mehr an den Staat zu delegieren. Benachteiligte müssten zwar unterstützt werden, doch sollte man Eltern stärker dazu herausfordern, sich selbst um ihre Kinder zu kümmern. Fürst kündigte gleichzeitig an, am kirchlichen Engagement in Kindergärten werde sich trotz erforderlicher Sparbeschlüsse auf vielen anderen Gebieten nichts ändern, um die Entwicklung der nachkommenden Generation zu unterstützen.
Erstmals veranstalten die vier kirchlichen Wohlfahrtsverbände in Baden-Württemberg einen gemeinsamen Kongress. Rund 350 Teilnehmer aus kirchlichen Hilfswerken befassen sich bis Donnerstag unter dem Motto "Leben in Fülle" mit einem sozialen und gerechten Europa.