Presserat: Zahnloser Tiger hinter verschlossener Tür
Öffentlichkeitsscheu und ohne großes Interesse an einer öffentlichen Diskussion sei der Presserat, kritisiert Journalistikprofessor Horst Pöttker. Lutz Tillmanns vom Deutschen Presserat hält dagegen: Dass die breite Leserschaft sich dafür interessiere, bei jeder Beschwerde dabei zu sein, glaubt er nicht.
17.03.2010
Von Maike Freund

126. Das ist die Anzahl der Beschwerden, die der Deutsche Presserat Anfang März verhandelte. Über zehn der zwölf ausgesprochen Rügen gibt es einen kurzen Absatz zur Begründung auf den Internetseiten des Presserates. Über zwei davon nicht. Sie fallen unter die Kategorie nicht-öffentlich. Der Presserat entschied sich für 19 Missbilligungen und 25 Hinweise. Wer diese erhielt, bleibt unklar. Denn auch hier gilt: nicht-öffentlich.

"Der deutsche Presserat krankt daran, dass das Medienpublikum in ihm nicht vertreten ist, dass er hinter verschlossenen Türen verhandelt und dass er wenig offensiv in seiner eigenen Öffentlichkeitsarbeit ist", kritisiert der Dortmunder Journalistikprofessor Horst Pöttker. Er bezeichnet den Presserat sogar als "ein wenig öffentlichkeitsscheu" mit "wenig Interesse an einer öffentlichen Diskussion". Das sei zusätzlich verwunderlich, denn Verleger und Journalisten wüssten doch von Berufswegen her, wie man Öffentlichkeit herstellt.

Schutz der Persönlichkeitsrechte

"Den Grundsatz der Öffentlichkeit konsequent ausleben hieße, auch brisante Bereiche, beispielsweise wenn das Persönlichkeitsrecht betroffen ist, öffentlich zu verhandeln. Gerade beim Persönlichkeitsrecht aber ist ein gewisser Schutz aller Betroffenen nötig", sagt hingegen Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Deutschen Presserats. Und Ella Wassink, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Presserats, ergänzt: "Die Diskussion um die ethischen Fragen ist wichtig, allerdings kann ich nicht erkennen, dass dazu eine Nennung der Namen der betroffenen Medien nötig ist." Außerdem könnten alle Fälle im Jahrbuch und ab Herbst auch online eingesehen werden. Auch hier gilt jedoch: Die betroffenen Medien bleiben anonym.

Der Deutschen Presserat ist ein Organ der Selbstkontrolle. Bei der Gründung 1956 wollten Verleger und Journalisten zu viel staatliche Kontrolle und somit eine mögliche Einschränkung der Pressefreiheit verhindern. Zivil- oder strafrechtlich relevante Vergehen der Medien sind dabei allerdings nicht Sache des Presserats. Er befasst sich vielmehr mit ethischen Fragen der Branche und hat als Leitfaden den Pressekodex herausgegeben, in dem Verhaltensregeln für Journalisten - die auf freiwilliger Basis gelten - festgehalten sind.

Verleger und Journalisten

Wer in Deutschland dem Presserat angehören will, muss Mitglied in einem der vier Verleger- und Journalistenverbände sein. Anders als anderen Ländern wie in Schweden oder der Schweiz, wo neben Journalisten und Verlegern auch "normale Bürger" über die Veröffentlichungen der Medien urteilen. Ein Modell, das auch Horst Pöttker besser findet. "Alle drei am journalistischem Produktionsprozess beteiligten Gruppen, sowohl das Publikum als auch Verleger und Journalisten, gehören in einen effektiven Presserat", sagt er. Lutz Tillmanns hat aber auch hier seine Zweifel. "Journalisten und Verleger – mit gelegentlicher Unterstützung durch Experten – können mit ihrer Erfahrung am besten über die Praxis ihrer Kollegen urteilen", sagt er.

Mehr Öffentlichkeit beim Presserat würde seiner Meinung nach auch zu weniger Effizienz führen, da es eine größere Anzahl an Beschwerden geben könnte. Allerdings glaube er auch nicht, "dass eine breite Leserschaft daran interessiert ist, bei jeder banalen Beschwerde dabei zu sein."

Medienwissenschaftler Pöttker geht es jedoch um mehr: "Journalist ist in Deutschland ein Beruf, der kein besonders hohes Ansehen hat. Er steht etwa mit Gebrauchtwagenhändlern und Politikern auf einer Stufe." Das zeige, dass es in der Bevölkerung eine "erhebliche Kritik" am Journalismus gebe. Gebe es in Deutschland mehr öffentliche Diskussion, "würde das der Bevölkerung verdeutlichen, warum eine moderne Gesellschaft Journalismus braucht: Sie könnte sich sonst nicht regulieren, weil ihre Probleme nicht auf den Tisch kämen."

Modell Ombudsmann

Effizienzprobleme bei mehr Öffentlichkeit sieht Pöttker nicht. Es sei vernünftig, wenn der Presserat nicht alle Beschwerden bearbeiten würde, sagt er. "Stattdessen könnte er sich auf die großen, wichtigen, exemplarischen, möglicherweise auch neuen Fälle konzentrieren." Diese würden dann gründlich behandelt und öffentlich argumentiert. Alle anderen Beschwerden sollten von Ombudsleuten verhandelt werden.

Ombudsleute sind in den angelsächsischen Medien bereits gängige Praxis. Sie sitzen in den einzelnen Redaktionen, nehmen Beschwerden der Leser entgegen und machen ihre Arbeit im eigenen Medium öffentlich. In Deutschland gibt es bislang nur wenige dieser internen Ansätze zur Selbstkontrolle. "Kaum begreiflich" sei das Desinteresse der Branche an diesen Qualitätsinstrumenten, sagt auch Lutz Tillmanns und ist sich in diesem Punkt mit Horst Pöttker einig.


Maike Freund ist freie Journalistin aus Dortmund.