"Ich bin eine Insel", 16. März, 20.15 Uhr auf 3sat
Die beiden passen zusammen wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge: Thea Winkler, die in einem anderen Leben Lehrerin war, sich aber völlig zurückgezogen hat; und die zehnjährige Rosa, ein Mädchen von erschreckender Korpulenz, das aus Frust frisst und dringend Hilfe braucht. Da kann sie bei Thea lange warten: Körperlich mag die Frau noch anwesend sein, emotional aber sie führt ein Leben im inneren Exil. Nach einem Autounfall, bei dem ein Schüler ums Leben gekommen ist, hat sie gekündigt, ihren Mann verlassen und einen kleinen Laden für Zeitschriften und Süßigkeiten aufgemacht. Rosa ist ihre beste Kundin, und eines Tages erhält sie unvermutet eine unfreiwillige Einladung in Theas Leben: Die gibt das Mädchen kurzerhand als Tochter aus, um einen aufdringlichen neuen Nachbarn abzuwimmeln. Das ist Rosas Chance; prompt hängt sie sich wie eine Klette an Thea, die sich widerwillig auf die Beziehung einlässt, bis Rosa übermütig wird und sich das Trauma zu wiederholen droht.
Mit Ulrike Folkert...
Dieses ungleiche Paar, beide auf ihre Weise aus der Welt gefallen, ist eine Meisterleistung: vom Drehbuch (Silke Zertz), von der Regie (Gregor Schnitzler) und vor allem von den beiden Darstellerinnen. Ulrike Folkerts hat dabei die scheinbar leichtere Aufgabe: Sie braucht Thea bloß als komplettes Gegenteil von "Tatort"-Kommissarin Lena Odenthal verkörpern. Schon das erste Bild aber zeigt eine Frau, die nicht nur äußerlich unscheinbarer auftritt. Auch ihre Körpersprache und vor allem der erloschene Blick signalisieren: Bei dem Unfall vor drei Jahren ist Thea Winkler ebenfalls gestorben.
...und Tülin Karaca
Perfektes Pendant zu Ulrike Folkerts und phänomenal geführt ist die junge Tülin Karaca. Sie muss ja nicht bloß ein dickes Mädchen spielen, sondern vor allem ein Mädchen mit einem Traum: Rosa möchte Balletttänzerin werden. Diesen offenkundig absurden Wunsch – Thea spricht mal taktloser Weise vom "Elefanten auf Rollschuhen" – verkörpert die zehnjährige Tülin mit hartnäckiger Selbstverständlichkeit. Schnitzler ("Soloalbum", "Die Wolke") setzt zwar auch die Nebendarsteller (Luc Veit als hartnäckiger Nachbar, Heio von Stetten als Theas Ex-Mann) ausgezeichnet in Szene, doch die Basis dieses kantigen Beginns einer Freundschaft ist ein offenbar ausgezeichnetes Drehbuch. Behutsam lockt Silke Zertze ihre Hauptfigur aus dem Schneckenhaus, um sie dem Leben auszusetzen. Ein treffendes Bild dafür ist das vertrocknete Zitrusbäumchen des Nachbarn, das von Thea wieder aufgepäppelt wird und am Ende sogar Früchte trägt.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).