Mission & Marketing: Was Kirche Tourismus voraus hat
Einer der großen Trends auf der diesjährigen Internationalen Tourismusbörse (ITB) heißt Urlaub auf dem Land. Ursprünglichkeit, Tradition und Ruhe sind längst zu Marktgütern der Tourismusbranche geworden. Welche Rolle spielt die Kirche in diesem Urlaubskonzept? Eine Diskussion zwischen Kirchenvertretern, Tourismusmanagern und Landurlaubspezialisten.
13.03.2010
Von Cornelius Wüllenkemper

Endlich raus aus der Stadt, Lärm, Gestank und Hektik hinter sich lassen, um auf dem Lande zur Ruhe zu kommen, gesund zu leben, die Natur zu fühlen – ein Urlaubstraum für immer mehr Menschen in Deutschland. Mit rund 25.000 Anbietern und etwa 20 Millionen Übernachtungen im Jahr ist der Land- oder Bauernhofurlaub zu einem wichtigen Segment in der Tourismusbranche mit einem Marktanteil von mittlerweile 18 Prozent geworden. Nicht zuletzt Hape Kerkelings Bestseller "Ich bin dann mal weg" über seine Pilgerreise auf dem Jakobsweg bis nach Santiago di Compostela hat die Vorstellungen von innerer Einkehr, Ruhe, Glück und Zufriedenheit als greifbares Produkt etabliert. Bei über drei Millionen verkauften Exemplaren und einem rasanten Anstieg der Jakobswegpilger von 71 Prozent im Jahr nach der Veröffentlichung kann man getrost von einem "Hype" sprechen.

Inwiefern der Trend nach Ruhe und Erholung in authentischem Ambiente überhaupt kommerzialisierbar ist und ob sich die Ziele und Ansprüche des seelischen Wellness-Tourismus mit den traditionellen Inhalten und Angeboten der Kirche decken, das war Thema der Diskussion "Sommerfrische Dorfkirche – Kirche und Tourismus in ländlichen Räumen" auf der ITB in Berlin. Im Mittelpunkt der Gesprächsrunde zwischen Kirchenvertretern, Politikern und Tourismusmanagern stand einerseits die spirituelle Seite des Landurlaubs und andererseits die Reibung oder gegenseitige Hilfestellung von Kirchen und Tourismusbranche. Steht das religiöse Heilsversprechen im Paradies heute in Konkurrenz zum werbewirksamen Produktversprechen eines erholsamen, beglückenden Urlaubs?

Pflege des Ich als Marke

Die "Ich-Zeit", so Ute Dallmeier vom Tourismus NRW e.V., stehe jedenfalls auch in Nordrhein-Westfalen hoch im Kurs. Die Pflege des Ich sei bereits zur "Marke" geworden, hinter dem man jetzt eine adäquate Produkt- und Angebotspalette entwickeln müsse. Wie die aussehen sollte, beschrieb Ute Mushardt, die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft für Urlaub auf dem Bauernhof und Landtourismus. Mushardt betreibt selbst einen großflächigen Urlaubshof und ist überzeugt, dass die wichtigsten Elemente des zeitgemäßen Landurlaubs das Erleben von Natürlichkeit und ländlichen Traditionen sowie die Vermittlung von Ursprünglichkeit und überlieferten Werten seien. Bei aller Naturverbundenheit und dörflicher Einfachheit darf aber auch der Komfort nicht zu kurz kommen: Immerhin 70 Prozent der Landurlaubsbetriebe in Deutschland sind mit drei Sternen bewertet.

Wo sich das Verlangen nach wirklicher Erholung und das Bedürfnis nach religiöser Erfüllung treffen, erklärte Herbert Konrad, Tourismusseelsorger der katholischen Gemeinde im bayrischen Bad Tölz. Urlauber, die im Voralpenland Natur, Berge, Seen und Wälder genießen, seien zugleich auf der Suche nach Einklang mit der Schöpfung Gottes, nach Urlaub mit "Sinn und Tiefgang und einem authentischen religiösen Leben". Kirchen seien zudem für viele Menschen ein vertrautes und vertrauenschöpfendes Element in der Fremde. Als Tourismusseelsorger bietet Konrad den Besuchern lithurgisch-meditative Beschäftigungen mit Lebensfragen an, Naturerlebnisse und Pilgerwanderungen sowie "Meditationen im Sonnenuntergang zum ruhigen Einschlafen".

Pause von der Leistungsgesellschaft

Hier wurden erneut die fließenden Grenzen zwischen religiöser Erbauung und perfektionierter Erholung spürbar. Jan Jansen, Bischof der Evangelisch-lutherischen Kirche in Oldenburg, wies darauf hin, dass Urlaub nach kirchlichem Verständnis keine Rekorde brechen wolle, und die Schnittfläche zwischen Urlaubern und normalen Kirchenbesuchern vielmehr die "Suche nach Erdung und das Bedürfnis nach einer Pause von der Leistungsgesellschaft" seien. Das Stichwort der "Ich-Zeit" kritisierte Jansen dahingehend, dass die Menschen vielmehr das Bedürfnis nach Nähe und Gemeinschaft hätten. "Niemand bedient so viele Fragen nach Leben und Tod wie die Kirche". Ohne "Mission und Marketing zu verwechseln", stellte Jansen außerdem fest, dass die Kirche in Sachen seelisch-geistiger Fürsorge und meditativer Einkehr den Angeboten der Tourismusbranche weit voraus sei.

Kirchen sollten sich dennoch entschiedener der Zusammenarbeit mit touristischen Anbietern öffnen, so Ute Mushardt. Gerade jungen Menschen müsse die "Hochachtung vor der Schöpfung" nahegebracht werden. Auf Mushardts Urlaubshof veranstaltet die örtliche Gemeinde regelmäßig Gottesdienste und Konzerte. Die Landurlaubspezialistin verwies außerdem auf das Beispiel England, wo Landfrauen in touristisch beliebten Dörfern traditionelles Gebäck und Tee sowie Gespräche über Tradition und Dorfleben in Kirchen anböten. Auch wenn Kirche nicht kommerzialisierbar sei, könne man die Synergien zwischen Tourismus und Kirche nutzen, ergänzte Bischof Jan Jansen. Die Bedeutung von historischen Kirchengebäuden für die touristische Attraktivität, authentische Ausstrahlung und kulturhistorische Bedeutung eines Dorfes ist dabei kaum abschätzbar.


Cornelius Wüllenkemper ist freier Journalist in Berlin.